Liebe und Tod in Havanna
A.O.M., ein kleiner dicker Mann, an dem der Schweiß in Bächen herablief.
»Tut mir leid, bei den Kommunisten gibt es keine Vorzugsbehandlung, hier muss man Schlange stehen wie alle anderen auch, und an der Gepäckausgabe noch mal das Gleiche.«
»Ich habe kein Gepäck.«
Auch Jo schwitzte bereits mächtig. Es herrschte eine drückende Hitze. »Man gewöhnt sich schnell dran. Anfangs war’s für mich auch die Hölle, aber irgendwann macht es einem nichts mehr aus, oder sagen wir lieber, man lässt es über sich ergehen.«
Die Flughafenhalle war voller Menschen, die auf Angehörige warteten: Familie, Freunde, Verlobte. Viele kamen, um sich ein Paket oder einen Brief aus Europa abzuholen. »Die Post funktioniert in Kuba kaum, also schickt man Nachrichten über Freunde, und Geld ebenfalls. Übrigens, Jo, apropos Geld, das Einzige, womit man hier etwas anfangen kann, ist der Dollar. Wechseln Sie bloß nichts, der Peso ist völlig wertlos. Zumindest für Ausländer.«
Sie kletterten in den berüchtigten Dienstwagen, einen kleinen, schrottreifen Fiat. »Ich habe Sie nicht schon heute erwartet, Jo. Ich kann Ihnen den Wagen noch nicht geben. Aber ich lasse Sie beim Riviera raus, dort sind Sie so lange untergebracht, bis man etwas für Sie gefunden hat. Ich komme Montagmorgen, bevor ich abfliege, vorbei, um Ihnen den Job zu erklären. Es ist ganz leicht, alles genauso wie in Paris, nur dass alles dreimal so lange dauert und es hier tausendmal heißer ist.«
Sie fuhren nun den legendären Malecón entlang, auf dem sich verfallene, gischtgepeitschte Gebäude aneinanderreihten. Eine wundervolle Architektur, von der jedoch fast nur noch Ruinen übrig waren. Eine Geisterstadt, wenn die Nacht hereinbrach. Ohne Lichter. Und alle zwanzig Meter ein halb nacktes Mädchen, das sich im Scheinwerferlicht abzeichnete.
»Da, die berühmten jineteras. Es gibt ein paar richtig tolle Mädchen darunter. Sie tun so, als wollten sie per Anhalter fahren. Hacer la botella, nennt man das hier.«
Jo musste an einen Katastrophenfilm von Carpenter denken, Flucht aus L.A. Eine riesige, verlassene Metropole, die nach einem Erdbeben vom Rest der Welt abgeschnitten ist, Mädchen, die im Dunkel der Nacht mit den Armen rudern, letzte Bewohner, die aus der Stadt zu entkommen suchen, ehe sie im Ozean versinkt.
Für gewöhnlich ist Havanna eine ausgesprochen lebendige Stadt, in der es vor Menschen nur so wimmelt. An jenem Abend aber peitschte der Ozean den Malecón. Riesige Wellen brachen sich über der Uferstraße, spritzten gegen die von Säulengängen gesäumten, von Salz und Gischt angelaufenen Gebäude, und wie jedes Mal, wenn das Meer so rau ist, verzog sich die Bevölkerung in die kleinen Gassen der Altstadt und mied den Malecón. Abgesehen von den Mädchen, die auf ihren schwindelerregend hohen Schuhen lachend unter dem Ansturm der Wellen schwankten und den vorüberfahrenden Wagen die Zunge rausstreckten und mit den Hüften wackelten.
»Mit unseren Nutten nicht zu vergleichen«, fuhr Ricardo fort.
»Wissen Sie, Ricardo, ich kenne mich mit Nutten nicht sehr gut aus«, log Jo, der Tatiana mit ihren blauen Fingernägeln schon vergessen hatte.
»Darüber unterhalten wir uns noch mal in ein paar Tagen, mein Freund!«, spottete Ricardo. »Hier ist es schwierig, ihnen zu widerstehen. Sie sind so charmant und dann noch so billig. In Europa ist eine Nutte immer eine Professionelle. Sie nimmt ihr Geld, erledigt in null Komma nix ihren Job und ist schon wieder draußen, bevor sie überhaupt guten Tag gesagt hat. Scheißegal, ob dir ein Auge fehlt, du keine Beine mehr hast oder Verbrennungen am ganzen Körper: Sie sehen dir niemals in die Augen. Nur auf den Schwanz, und zwar in dem Moment, in dem der Präser drübergezogen wird. In Kuba ist es anders. Die Mädchen sind, zumindest im Moment noch, fast immer Gelegenheitsprostituierte. Sie haben keinen Zuhälter, höchstens mal einen Bruder oder einen Cousin, der an der Straßenecke Schmiere steht und nach Bullen Ausschau hält und der sie nach der Arbeit auf dem Fahrradgepäckträger nach Hause bringt.
In Havanna gibt es an jeder Ecke Polizei, die Bevölkerung wird auf Schritt und Tritt kontrolliert. Wird ein Mädchen dreimal hintereinander erwischt, nimmt man ihr sofort den Ausweis weg und steckt sie in den Knast. Also machen sie es nur ein-, höchstens zweimal die Woche, dann wechseln sie das Viertel oder hören für ein paar Monate ganz auf.
Die Mädchen, die Sie da sehen, wirken vielleicht
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