Liebe und Tod in Havanna
mir fehlen. Ich weiß, es ist völlig idiotisch, so was zu sagen. Ich sollte sagen, DU wirst mir fehlen, aber es war gestern Abend so schön weich, und außerdem erinnert es mich an unsere erste Begegnung in Saint-Germain, im Hinterzimmer dieser Jazzbar.
Ich habe nichtsdestotrotz meinen Walkman und ein paar Jazz-CDs mitgenommen. Falls ich mal einen Blues haben sollte. Und das werde ich mit Sicherheit.
Leb wohl, Anne. Ich werde dich von Zeit zu Zeit anrufen. Jo.
PS: Wie du siehst, bin ich endlich einmal über den ersten Satz hinausgekommen.
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»Das Flugzeug startet in einer halben Stunde. Sie haben Glück, dass Sie an mich geraten sind, theoretisch war ich heute gar nicht im Dienst! Na los. Zeigen Sie Ihren Dienstausweis und legen Sie einfach den Daumen auf das Foto! Das wird ein Spaß.«
»Das ist sehr freundlich! Eigentlich sollte ich Jo nicht begleiten, aber dann hab ich mir im letzten Moment gesagt, dass es doch besser wäre.«
Benoît und Anne gingen am diensthabenden Zollbeamten vorbei, der die Ausweise nicht einmal eines Blickes würdigte.
»Gut, ich lasse Sie jetzt allein. Ich muss zum Schalter zurück, es ist dort hinten links, Gate F 31«, rief Benoît. »Sie können es nicht verfehlen! Sagen Sie ihm, er soll die Jungs ab und zu anrufen! Seine falschen Selbstmordversuche werden uns fehlen!«
Anne stellte sich auf ein langes Rollband. Je näher sie dem Boardingbereich kam, umso unbehaglicher fühlte sie sich.
Als sie Jo durch die Scheibe des Gates F 31 sah, blieb sie plötzlich stehen und versteckte sich hinter einem Pfeiler.
Er saß auf einer Bank aus Stahl. Neben ihm stand als einziges Gepäck eine Plastiktüte von Prisunic.
Jo hasste Koffer und war immer schon wie ein Obdachloser verreist. Er wirkte wie ein Student, der zu einer vierzehntägigen Sprachreise ins Ausland flog.
Plötzlich war er aufgestanden und auf und ab gelaufen, dann hatte er begonnen, nervös in seinen Taschen zu wühlen. Jo verlor immer alles. Anne kannte ihn in- und auswendig und wusste, dass er in genau diesem Augenblick in seiner Innentasche seinen Ausweis betastete. Wie oft hatte er ihn schon verloren!
Dann ging er zu einer Telefonkabine, begann erneut sein nervöses Tänzchen, weil er nun nach einer Telefonkarte suchte, und tippte schließlich eine Nummer.
Bestimmt ruft er mich an, dachte Anne. Was würde er mir wohl sagen, wenn ich zu Hause wäre?
Aber Jo hatte bereits aufgelegt. Er hatte höchstens ein- oder zweimal klingeln lassen.
»Ich hasse Abschiede, die sich in die Länge ziehen«, hatte er geschrieben.
Und Anne sagte sich, dass sie einen Fehler gemacht hatte, dass sie kein Recht hatte, dort zu sein, sich hinter einem Pfeiler zu verstecken und ihrem Mann nachzuspionieren.
Sie benahm sich wie ein unreifer Teenager. Gut, dass Jo fortging! Sie konnte ihn nicht mehr ertragen und er sie auch nicht. Was hätte das Ganze noch bringen sollen? Sie würde nicht schwach werden, nur weil er fortging!
Anne sprach leise mit sich selbst, und zwischen zwei Worten schluckte sie ihre heißen, salzigen Tränen herunter.
Alle Passagiere waren bereits an Bord gegangen. Jo hatte noch kurz mit dem Angestellten der A.O.M. gesprochen und dann seine Plastiktüte geholt.
Für einen Moment hatte er einen traurigen Blick zur großen Glaswand geworfen.
Er hatte sie gesehen, ganz sicher! Nein, das war nicht möglich. Aber er spürte, dass sie da war. Er brauchte sie. Geh schon, zeig dich ihm, dachte sie. Was riskierte sie schon? Dass er noch zwei Tage blieb?
»Kann ich Ihnen helfen, Madame?«, fragte ein junger Zollbeamter, der sich ihr unbemerkt genähert hatte.
»Nein, danke! Ich habe nur meinen Dienstausweis gesucht, ich verliere ihn ständig. Na, dann will ich mal los, wenn der Flug schon mal pünktlich startet, sollte man das nutzen.«
Die Autobahn war in der Gegenrichtung völlig verstopft: die erste große Reisewelle setzte ein, eine große Aufbruchstimmung machte sich breit. Für mich ist es auch wie ein großer Aufbruch, dachte Anne. Plötzlich wusste sie überhaupt nicht mehr, was sie mit diesem Sommer anfangen sollte.
7
H AVANNA B LUES
Havanna, Juli
Bei Einbruch der Nacht landete Jo im »Jurassic Park« des Sozialismus. Über eine Stunde musste er vor der Zollabfertigung in der Schlange stehen. Die Bullen waren unglaublich langsam und pingelig. Aber wenigstens konnte man rauchen. Hinter der Schleuse erwartete ihn Ricardo, sein Kollege von der
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