Liebe und Vergeltung
schaute sie Michael bang an und wartete darauf, daß er ihr für ihr unbesonnenes Verhalten Vorhaltungen machen würde.
Langsam drehte er sich um und sah ihr einen Moment ernst und schweigend in die Augen. Dann zog er Sara an sich und schloß sie stürmisch in die Arme.
Sie schmiegte sich an ihn, froh, nicht mit Vorwürfen überschüttet zu werden, erleichtert, daß er unverletzt war, und glücklich, bei ihm zu sein.
Sacht schob er sie von sich und sagte warmherzig: „Du wärest nicht meine Sara, würdest du nicht stets versuchen, Hilflosen beizustehen. Es war jedoch nicht einer deiner besten Einfälle, hierherzukommen!“
„Ich weiß“, murmelte sie und strich sich verlegen das Haar aus der Stirn. „Aber ich hegte die schlimmsten Befürchtungen, was Elizabeth in diesem Haus widerfahren könnte. Leider habe ihr dann nicht einmal helfen können.“
„Ist sie verletzt?“
„Nein, ich glaube nicht“, antwortete Sara und fröstelte unwillkürlich. „Zumindest hat sie nicht geweint, als ich sie herunterkommen hörte. Hoffentlich erfährt sie nie, welches Los ihr in diesem Etablissement bevorgestanden hätte.“
„Nun, dann hatte es zumindest ein Gutes, daß Weldon rechtzeitig da war“, erwiderte Michael ruhig. „Elizabeth ist jetzt in Sicherheit, und du auch.“
Stimmen drangen aus dem Vestibül herauf, und erschreckt blickte Sara zur Treppe.
„Sei unbesorgt“, sagte Michael schmunzelnd. „Das ist Benjamin mit meinen Leibwächtern und wahrscheinlich Jenny, die ihn nicht aus den Augen läßt.“
„Sie hatte mich gewarnt, nicht zu Mrs. Bancroft zu fahren“, erwiderte Sara reumütig. „Wie recht sie doch hatte!“ Sie hängte sich bei Michael ein und ging mit ihm ins Parterre hinunter.
„Oh, Madam!“ rief Jenny erleichtert, als sie Ihre Hoheit sah. „Ich habe Todesängste um Sie ausgestanden!“
„Es ist mir nichts Schlimmes passiert“, antwortete Sara lächelnd und erzählte rasch, was sich in der Zwischenzeit zugetragen hatte. „Aber Kuram ist noch in einem der Zimmer“, fügte sie hastig hinzu. „Und die armen Kinder müssen befreit werden!“
Die Leibwächter suchten und fanden ihn in einem am Ende des Ganges gelegenen Raum. Er lag, gefesselt und geknebelt, neben dem toten Aufpasser des Bordelles. Kaum konnte er wieder richtig Luft schöpfen, schimpfte er lauthals über seine Unfähigkeit, sich nicht energisch genug gegen den stämmigen Kerl zur Wehr gesetzt zu haben.
Sara tröstete ihn und hieß ihn, den blutgetränkten Turban abnehmen. Kuram hatte eine klaffende Wunde an der Schläfe, die sich glücklicherweise als ungefährlich herausstellte.
Jenny war zum Bord gelaufen und hatte die Zimmerschlüssel an sich genommen.
„Schließ nicht den dritten Raum auf der linken Seite des Korridores auf!“ warnte Michael, ehe Jenny in die erste Etage lief. „Dort ist Weldon eingesperrt und soll da bleiben, bis die Konstabler ihn holen.“
„Er lebt?“ fragte Benjamin Slade überrascht.
Ohne Sara anzusehen, antwortete Michael trocken: „Meine Gattin verabscheut jede Art von Gewalttätigkeit.“ Sekundenlang wußte Benjamin vor Staunen nicht, was er sagen sollte. Es verwunderte und freute ihn, daß Prinz Balagrini sich überwunden hatte, den Feind nicht zu töten und ihn lieber der Justiz zu überlassen. „Ich schlage vor, Sir“, erwiderte er, sobald er sich von der Verblüffung erholt hatte, „daß Sie Ihre Hoheit heimbringen. Die Ereignisse müssen Lady Sara sehr mitgenommen haben, und sie wird sich nach Ruhe sehnen. Ich kümmere mich hier um alles Notwendige und werde die Mädchen mit Jenny zu mir nach Hause bringen. Einer der Leibwächter kann zur Polizei reiten und sie von Weldons Gefangennahme informieren.“
„Gut“, willigte Michael ein und gab Benjamin die Pistole des Baronets. „Ich brauche sie nicht mehr. Vorsicht, sie ist geladen. Komm“, wandte er sich dann an Sara. „Ich begleite dich heim.“ Er reichte ihr den Arm und führte sie aus dem Haus.
Sie begriff nicht, warum er plötzlich so kühl, so distanziert wirkte, und zuckte innerlich zusammen, als er den Kutscher anwies, sie nach Haddonfield House zu fahren. Es enttäuschte sie, daß er sie nicht zu sich in die Park Street holte und es angebrachter fand, sie zu ihrem Vater zu bringen.
Schweigend ließ sie sich in die Chaise helfen, nahm Platz und blickte in die Nacht hinaus. Michael war kein Mann, der schnell vergaß und leicht verzieh. Aber sie hoffte inständig, er würde ihr eines Tages doch vergeben,
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