Liebe und Verrat - 2
gepflasterte Straße und gehe an dem alten schmiedeeisernen Zaun vorbei, atme erleichtert auf, als ich den Park betrete, und steuere auf den kleinen Teich zu. So manchen Nachmittag verbrachte ich schon hier im Schatten der Bäume, seit ich aus Frankreich zurückgekehrt bin. Dieser Ort erinnert mich – wenn auch nur entfernt – an die grünen Hügel von Altus.
Ich denke an Dimitri. Er begleitet mich manchmal, obwohl ich genauso gerne allein spazieren gehe. Bei dem Gedanken an ihn, an seine unendlichen Augen, seine dunklen Haare, die sich im Nacken zu Locken kräuseln, empfinde ich tiefe Dankbarkeit, dass er mit mir nach London zurückkehrte und sich zu meinem verschworenen Gefährten erklärt hat, bis die Prophezeiung zu einem Ende gekommen ist, zu welchem auch immer. Seine Gegenwart ist mir ein Trost, obwohl ich das nicht gerne zugebe.
Dimitri traf erst am nächsten Morgen in Chartres ein. Ich saß immer noch an die Säule gelehnt in der Kathedrale, obwohl mir ein Priester angeboten hatte, mir ein Nachtlager zu suchen. Ich wollte in der Kathedrale sein, wenn Dimitri kam. Ich wollte das Erste sein, worauf sein Blick fiel, wenn er die Tür öffnen würde.
Wir ritten in eine Küstenstadt und gingen an Bord eines Schiffes, das uns zurück nach England brachte. Wieder in London, fuhren wir geradewegs nach Milthorpe Manor, wo ich kaum noch die Treppe zu meinem Zimmer hinaufsteigen konnte. Ich fiel ins Bett und schlief vierundzwanzig Stunden lang tief und fest. Als ich erwachte, saß Dimitri neben mir auf einem Stuhl und wachte über meinen Schlaf.
Seitdem weicht er keinen Tag mehr von meiner Seite. Er hat in dem braunen Sandsteinhaus der Society Quartier bezogen, unter den mütterlichen und gelegentlich gluckenhaften Fittichen von Elspeth. Obwohl er keinen Hehl daraus macht, dass er mich anbetet, ist es mir noch nicht gelungen, meine Zuneigung für ihn mit den Gefühlen für James, die ich immer noch in meinem Herzen trage, in Einklang zu bringen. Ich habe dieses Problem auf die Liste der Dinge gesetzt, über die ich im Augenblick nicht nachdenken kann und will. Zu tief lastet der Schatten der Prophezeiung auf meinem Gemüt.
Außerdem denke ich generell nur ungern über die Zukunft nach. Hinter mir liegen zu viele Fragen, und noch viel mehr erwarten mich auf dem Weg, den ich beschreiten muss. Vielleicht werde ich langsam abergläubisch, aber es kommt mir nicht ratsam vor, das Schicksal herauszufordern, indem ich es als selbstverständlich ansehe, eine Zukunft zu haben.
Bei all der Freude über Dimitris Gesellschaft, gibt es Zeiten – manchmal ganze Tage –, da möchte ich allein sein. Möchte über das Vergangene nachdenken und darüber, was vor mir liegt.
Es steht außer Frage, dass große Veränderungen bevorstehen.
Gleich nach meiner Rückkehr aus Frankreich erhielt ich Nachricht von Philip, dass er Helene Castilla aufgespürt hat, den dritten Schlüssel. Er ist auf dem Weg nach London, im Gepäck einen Plan, wie wir sie zu uns bringen können. Ich frage mich, wie die Verstärkung durch ein weiteres Mädchen sich auf die zerbrechlich gewordene Verbindung mit Sonia und Luisa auswirken wird.
Der Gedanke an Sonia verdunkelt mein Herz noch immer. Manchmal erinnere ich mich an die alte Sonia, an die scheue, treue Freundin, die in den Stunden der Verzweiflung nach Henrys Tod und während meiner Reise von New York nach London meine engste Gefährtin war. In diesen Momenten vermisse ich sie und wünsche mir, sie wiederzusehen. Sie zu umarmen und mit ihr am Feuer zu sitzen und ihr alles zu erzählen, was geschehen ist, seit jenem entsetzlichen Moment, als ich erwachte und in ihre Augen schaute, die von dem Wahnsinn der Seelen gezeichnet waren.
Doch es ist nicht leicht, diese neue, misstrauische Stimme in meinem Kopf zu ignorieren.
Die Stimme, die mir zuflüstert: Was, wenn es wieder geschieht?
Aber ich muss es schaffen. Ich muss einen Weg finden, um alle noch einmal zusammenzubringen und um dem Weg der Prophezeiung zu folgen. Philip wird bald in London eintreffen und auch Sonia, Luisa und Edmund sind bereits aus Altus abgereist. Man hat mir keine Einzelheiten über Sonias Genesung berichtet, aber ich vermute, dass es ihr gut geht, was jedoch nicht bedeutet, dass ich mir jemals wieder ihrer Loyalität sicher sein kann.
Im Augenblick ist Dimitri derjenige, dem ich am meisten vertraue.
Kurz nach meiner Rückkehr nach London schrieb ich die restlichen Worte der Prophezeiung auf, so wie sie auf der Seite geschrieben
Weitere Kostenlose Bücher