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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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der Decke ab, faltete es zusammen, eilte zurück in den Korridor und füllte den Sack mit dem vielen Schmuck der toten Aramäerin. Dann machte er am oberen Ende einen festen Knoten und trug den Sack auf seinem Rücken.
    Er öffnete die Tür. Er drehte sich noch einmal zu der von ihm erschlagenen Christin um. „Es tut mir leid.“
    Draußen auf dem Gehweg sah er einige tote alte Männer vor den Häusern auf dem Boden liegend. Unter den Erschlagenen war sogar ein Kind. Er bedauerte den Tod des kleinen Kindes. In seinem Ohr hallte immer noch das Geschrei der alten Sejde wider. Im Norden beeindruckte ihn der Anblick der herannahenden Truppen, die türkischen Soldaten bedeckten den Hügel wie ein Schwarm von Bienen. Im Osten sah er, wie die Überlebenden den Hügel hinauf liefen. Die Türken nahmen ihre Verfolgung nicht auf, sie plünderten die verlassenen Häuser.
    Ali Pascha, hoch oben auf seinem Kyptschaken-Ross, welches mit einem roten Chanfron (Kopfbedeckung) geschmückt war, stand oben auf dem Gipfel des Nordhügels. Orhan stand neben ihm. Sie beobachteten ihre Horde von Barbaren. Ja, es waren Barbaren. Doch der Pascha fügte sich dem Schicksal und passte sich dem gemeinen Pöbel an. Er als Hochgebildeter konnte kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Keinen einzigen Aramäer hätte er selbst töten können. Und er redete sich ein, nicht verantwortlich für diese Verbrechen zu sein. Aber er wusste, er war es doch. Und dies bedrückte ihn. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn. Wie lange sollte dieses Schreckensszenario noch andauern, fragte er sich.
     

 
    Tuma und Scham'en
     
     
    Barsaumo plagte sein Gewissen. Eigentlich hatte er doch diese Frau nur erobern wollen, für eine Nacht oder mehr. Wie es aber zu solch einer Tragödie kommen konnte, konnte er sich nicht erklären. Er hatte einfach die Beherrschung verloren. Oder war er einfach nur verrückt und geisteskrank? Vielleicht war alles auch nur ein böser Traum. Vielleicht war all das nicht geschehen und nur eine Ausgeburt seiner Fantasie.
    Er schlief tief auf einer Matte auf dem Dach des Hauses seiner Eltern. Es war Mitternacht und es war um diese Uhrzeit stets absolut still in Badibe. Gegen die unerträglichen Mücken hatten sich die Aramäer eine geniale Erfindung erdacht. Sie nahmen eine Decke aus Baumwolle und machten mehrere Löcher mit ihren Nadeln darin. Diese Decke schützte den Schlafenden vor der Mückenplage. Durch die Löcher konnte dieses Ungeziefer nicht hindurch schlüpfen. Und die Stiche dieser Viecher drangen nie durch den Stoff der Decke.
    Das Atmen unter dieser Decke war schwer. Bei dieser erdrückenden Hitze in der Nacht war das unaufhörliche und heftige Schwitzen der Schlafenden nur zu selbstverständlich.
    Doch in dieser Nacht schwitzte Barsaumo mehr als alle anderen Nächte zuvor. Er sah Aische vor seinen Augen. Sie wandelte über die Talebene hinter dem Nordhügel von Badibe. Sie schlenderte über den Gehweg und blieb vor einem Dattelbaum stehen und pflückte eine Frucht. Die Frucht schmeckte ihr, sie lächelte ihn an. Ihre Füße berührten nicht den Boden, sie schwebte. Barsaumo war sich sicher, sie war ein Engel. Aische war nun bei Gott, sie war in den Himmel eingegangen.
    Er stand etwa fünf Meter hinter ihr und beobachtete sie fasziniert. Sie war anders als er sie in der Realität kennengelernt hatte. Wie oft sie lachte, sie war so kindisch. Er lief über den Gehweg auf die andere Seite, direkt auf sie zu. Sie hob ihren linken Arm und schüttelte ihren Kopf. Damit deutete sie ihm an, er solle sich ihr nicht weiter nähern. Er hatte jedoch keine bösen Absichten, sondern wollte sich bei ihr für sein fatales Vergehen entschuldigen.
    Sie wurde nervöser, verzog ihre Miene und schaute ihn ängstlich an. Er blieb stehen.
    Ihre Augen wurden plötzlich ganz rot, Blut strömte aus ihren Augenhöhlen. Barsaumo guckte fassungslos und wandte sich ab. Dann schrie sie laut, so laut, Barsaumos Trommelfell wäre beinahe geplatzt. Er hielt sich mit seinen Händen die Ohren zu.
    Sie löste sich in Luft auf. Er sah keine einzige Spur mehr von ihr.
    Schweißgebadet wachte er auf. Er warf die Decke weg. Schon stürzten sich die ersten Mücken auf sein herrliches Fleisch, ihm jedoch war dies in diesem Moment gleichgültig. Er war nämlich ein Verbrecher. Er hatte eine Unschuldige umgebracht. Sogar eine, für die er Gefühle empfand. War er etwa eine Bestie? Schlummerte in ihm das Böse? So absurd es auch klingen mochte, die Stiche der

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