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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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verstecken. Sie wandte sich erschrocken zu ihm um und rührte sich nicht mehr. Der Türke war ein Mann von 35 Jahren. Er trug einen Schnauzbart und auf seiner Brust einen der schwarzen Orden des Sultans. Er gehörte also der Elite des osmanischen Heeres an. Sein Name war Ali Muhammad Mustafa. Er war ein Alewit, jene Gruppe innerhalb des Islam, welche, im Gegensatz zu den konformen Sunniten, einige Vorschriften des Koran, wie das Fasten im Monat Ramadan oder das Verbot von Mischehen, nicht befolgten. Verheiratet war er mit einer Armenierin. Sie musste nicht zum Islam konvertieren. Er liebte seine Frau und seine beiden noch sehr jungen Söhne. Nun stand er davor, eine Aramäerin zu ermorden. Es war sein erstes Opfer. Noch nie hatte er Zivilisten getötet. Und noch nie Frauen. Warum aber war er ein so loyaler Söldner der Osmanen? Seine Frau war doch eine Christin. Weil er oft unter Verdacht stand, mit den Christen zu sympathisieren, musste er seine Treue zu seinem Volk, seiner Religion und seiner Regierung immer wieder unter Beweis stellen. Er war ein Teil eines großen Ganzen. Es war nun einmal seine Pflicht, sich an diesen ethnischen Säuberungen zu beteiligen. Der Befehl kam nämlich von der Hohen Pforte höchstpersönlich.
    Da lag noch viel Schmuck auf dem Boden dieses Korridors. Der Raum war klein, sie stand nur etwa eineinhalb Meter vor ihm. Ihn plagte schon sein Gewissen, Skrupel hatte er, doch musste er seine Pflicht tun. In jedem Moment hätte ein anderer Soldat das Haus betreten können und wohl seinen Platz eingenommen.
    Er schloss seine Augen, als er den Griff des Säbels in der Scheide mit seiner rechten Hand an der unteren Seite umfasste, es rasch herauszog und ihre Kehle durchschnitt. Sie hatte seine Absicht bemerkt, doch da war es schon zu spät. Fontänen von Blut schossen aus ihrer Halsschlagader heraus. Sie spritzten auf die Rüstung des Türken, er wich jedoch nicht zur Seite. Schockiert über die mit seiner eigenen Hand vollzogene schreckliche Tat beobachtete er, wie sie auf die Knie fiel und ihr Körper vorne über, tot, auf ihr Gesicht auf den Boden kippte. Sie lag da vor ihm, nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, ihr Rücken zu ihm gewandt. Er hatte ein Verbrechen begangen. Er hasste sich selbst. Warum hatte er es getan? Es war nur ein kurzer Moment, nur eine Laune. Und dieser Moment hatte einer unschuldigen alten Frau das Leben gekostet. Es war ungerecht. Doch was sollte er tun? Er redete sich ein, das Leben sei nun einmal so grausam und so brutal. Jeder müsste um sein Überleben kämpfen. Er hätte es für das Leben seiner Familie tun müssen.
    Als ein Soldat versuchte, die Haustür aufzubrechen, erwachte er aus seiner Apathie. Er stand immer noch direkt vor der Haustür und blockierte die Öffnung. Er drehte sich um und hielt seinen linken Fuß gegen die Tür. Nur einen kleinen Spalt breit öffnete er sie. Er sagte seinem Kameraden, er habe bereits dieses Haus besetzt und er solle sich ein anderes suchen. Der Soldat, zehn Jahre jünger als Ali Muhammad Mustafa, schaute ihn grimmig an. Seine rechte Hand griff nach dem Lauf seines Gewehres, welches er gebunden an seinem Rücken trug. Ali Muhammad erwartete nun einen Kampf mit dem jungen Türken. Er redete noch auf ihn ein, es gebe noch genug Beute in den anderen Teilen des Dorfes. Doch der junge Türke, Ümit aus Ismir, fühlte sich beleidigt in seiner Ehre.
    Da schlug plötzlich einer seiner Weggefährten, Hassan, auf seine rechte Schulter. „Komm, lass uns zum Imam, er zeigt uns, wo wir die größten Schätze kriegen.“
    Ümit ließ sein Gewehr los, schaute Hassan begeistert an und huschte davon. Der Türke im Haus schüttelte den Kopf. Er schloss die Tür und verriegelte sie. Die Leiche durchsuchte er nicht, er respektierte die Tote. Er hob den Schmuck auf und quetschte es in seine Hosentaschen. Es war eine Art Collier, bestehend aus zusammengebundenen kleinen Goldmünzen. Das obere, welches er zuerst eingesteckt hatte, war größer als die anderen. Es war Paulus' Hochzeitsgeschenk an seine Braut. Die anderen Colliers

 
    waren nicht so beeindruckend, doch mussten sie ein Vermögen wert sein, wie der Muslim unschwer erkannte.
    In seine Hosentaschen passte nichts mehr herein. Er suchte nach einem Beutel, doch er fand keinen. Dann betrat er das Schlafzimmer, dort war nur eine Matratze, darauf eine Decke, überzogen mit einem weißen Laken. Das Laken stank fürchterlich nach Schweiß, doch er hatte keine andere Wahl. Er nahm das Laken von

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