Liebe und Völkermord
nahm den Schlauch mit seiner linken Hand. „Wir haben nicht mehr viel Zeit. Der Jüsbaschi müsste bald hier eintreffen. Lass uns gehen!“
Er nahm einen langen Zug von der Wasserpfeife. Mit geschlossenen Augen hauchte er den Dampf aus seinen Nasenlöchern heraus aus. Sein Gesichtsausdruck verriet eine Andeutung von Freude, er schaute wie jemand, welcher gerade ein herrliches Mahl gekostet hatte.
Er stand hastig auf und schaute nun Johann an, als sei er nüchtern. Er nickte ihm zu und marschierte zur Tür.
Gleich als sie auf ihren Pferden ihre bescheidene Pension erreichten, ein Gebäude aus Lehmziegeln mit Böden aus Holz, standen Söldner des Jüsbaschi vor dem Eingang und warteten auf die Deutschen. Es war bereits am frühen Abend, in wenigen Augenblicken sollte die Sonne untergehen.
Heinz beeilte sich und sprang sofort von seinem Ross herab und begrüßte die Männer. Alle drei waren etwa um einen Kopf größer als er und waren schmal, zu dünn nach des Deutschen Meinung, denn ein Mann hätte einige Kilos auf seinem Leib haben sollen. Er pflegte, derartige Meinungen nie öffentlich kundzutun.
Der Kürzeste von ihnen sprach zuerst: „Ich soll Euch ausrichten, der Jüsbaschi möchte Euch bei dem Feldzug an seiner Seite haben. Wir brechen morgen früh auf. Wir werden zuerst in Richtung Mardin ziehen. Ali Pascha ist mit seiner Armee von Syrien vorgestoßen. Er wird sich beizeiten unserem Heer anschließen.“
Sie schüttelten die Hände. Er bot den drei Türken Tee und ein Mahl an, doch sie müssten ablehnen, da sie noch am selben Abend wieder zurück in ihrem Hauptquartier sein müssten.
In aller Frühe des nächsten Morgens, um sechs Uhr, bestiegen Generalmajor Heinz Rüdiger Sturm und sein Adjutant Johann Lieb ihre Rosse. Bevor sie aufbrachen, sagte Sturm zu Johann, gleichgültig, was geschehen möge, er wolle ihn immer an seiner Seite haben. Johann bedankte sich bei ihm für sein Vertrauen in ihn. Er schwor ihm, nicht von seiner Seite zu weichen.
Das Lager der Armee des Jüsbaschi befand sich etwa zwei Kilometer nordöstlich von Dijabakir. In nur wenigen Minuten waren sie bereits angekommen. Es war nicht die größte Armee, welche der Generalmajor je gesehen hatte, doch hielt er die Größe des Heeres für angemessen. Nach seiner Einschätzung hätten es etwa 5000 Soldaten sein müssen. Gleich nachdem sie zum Jüsbaschi ins Zelt vorgelassen wurden, schickte Mustafa Ali alle seine fünf anwesenden Generäle fort, um mit dem Deutschen allein zu reden. Auch Johann wurde von Sturm befohlen, sich zu entfernen.
Mustafa sah deprimiert aus. Der Deutsche stand stramm.
„Die Armee des Ali Pascha wurde von einem christlichen Dorf zurückgeschlagen. Niemand soll davon erfahren. Ich vertraue Euch diese Nachricht an. Es bestürzt mich. Wie kann ein kleines Dorf von Bauern, eine Handvoll Männer, eine Schlacht gegen eine viel größere Armee von tausenden von gut ausgebildeten Soldaten gewinnen? Ich fürchte, wir unterschätzen unseren Gegner.“
„ Das ist keine gute Entwicklung, Herr Jüsbaschi. Ich teile Eure Bedenken. Doch, vertraut mir, auch die größte Überzahl an Soldaten kann ohne eine ordentliche Strategie keine Schlacht gewinnen.“
„ Ja, da habt Ihr recht. Uns fehlt es an guten Strategen. Solche Strategen wie Ihr es seid.“
„ Ich danke Euch, mein Herr.“
Der Jüsbaschi lockerte sich wieder. Sturm sah dies als Zeichen an, sich selbst auch zu lockern. Mustafa schritt von einem Ende des Zeltes zum anderen, dann blieb er stehen, mit dem Rücken zum Preußen gewandt. „Wisst Ihr, was uns bevorsteht? Wir haben eine schwere Aufgabe vor uns. Wer außer uns würde sie ausführen? Es muss getan werden! Ich frage Euch
noch einmal, ob Ihr wirklich ein Teil dieser Mission sein wollt? Wenn Ihr wollt, entbinde ich Euch Eurer Pflichten. Ich hätte Verständnis hierfür.“
Dies war eine Falle, da war sich Heinz sicher. Natürlich konnte er nicht um seine Entlassung bitten, das wusste doch der Türke.
„Ihr beschämt mich, mein Herr. Ich werde nicht von Eurer Seite weichen, egal, was geschehen mag.“
Der Türke stand immer noch mit dem Rücken zum deutschen Offizier gewandt. Er nickte. Dann drehte er sich um und lächelte den Europäer an. Er fasste ihn mit seiner rechten Hand an der linken Schulter an. „Wir sind ab jetzt Brüder.“
Der Deutsche nickte nur und lächelte dabei, obgleich er sich in jenem Moment unwohl fühlte.
Der Jüsbaschi drehte sich um, schritt voran zu seiner Liegematte
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