Liebe und Völkermord
und zeigte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand darauf. „Kommt, setzt Euch bitte hin.“
Der Deutsche folgte der Bitte des Türken und sah sogleich einen Teller mit dem weißen Pulver auf dem einen Ende der Matte. Mustafa setzte sich neben ihm hin. „Lasst es uns einnehmen! Es wird ein langer Tag werden.“
Isa Kafrojo
Er nannte dieses zarte Geschöpf Basse, nach seiner seligen Mutter. Eigentlich pflegten die Aramäer nicht, ihren Tieren Namen zu geben. Es galt in ihren Augen als unchristlich.
Seine Basse war das kleinste Schaf seiner etwa 20 Schafe großen Herde. Nur langsam vermehrte sich seine Herde. Woran das lag, konnte er sich nicht erklären. Er ernährte sie gut, führte sie jeden Tag auf die Weide und war immer sofort zur Stelle, wenn sich eines von ihnen verirrt oder verletzt hatte. Doch sie wollten oder konnten sich nicht vermehren. Isa blieb ein nicht reicher Mann.
Er hatte nur ein Kind, seine Tochter Maria. Sie galt als das anmutigste Mädchen des Dorfes. Zwar hatte sie viele gute Eigenschaften, aber auch viele schlechte. Ihr Charakter schien sich von Tag zu Tag zu ändern. Sie kümmerte sich um den Haushalt. Ihre Mutter war vor einigen Jahren einfach gestorben. Woran, das haben sie nie herausgefunden. Der Arzt Abdullah hatte behauptet, sie sei an einem Herzinfarkt gestorben, doch er sagte dies nur, um irgendeine Todesursache angeben zu können. Woran sie wirklich gestorben war, wusste auch er nicht. Sie war gerade erst 33 Jahre alt geworden.
Seit dem Tod seiner Frau hatte Isa sich auf die Arbeit gestürzt. Er arbeitete von früh morgens, fünf Uhr, bis zum Abend, sechs Uhr. Er kam nur für eine halbe Stunde nach Hause, um sein Mittagsmahl einzunehmen und nach seiner Tochter zu schauen. Nach seinem langen Arbeitstag nahm er sein Abendbrot ein und sprach einige Worte mit seiner Tochter. Maria war nie offen zu ihm.
Nur am Sonntag blieb er den ganzen Tag zu Hause. Meistens schlief er den ganzen Tag lang oder er saß im Wohnzimmer, starrte vor sich hin, mit der Misbaha in der linken Hand, und erinnerte sich an die schöne Zeit mit seiner geliebten Frau.
Dieser Tag war anders, das hatte Isa schon früh im Morgengrauen geahnt, als er den heftigen Regen aus dem kleinen Fenster seines Wohnzimmers beobachtet hatte. Der April war für gewöhnlich der Regenmonat des Jahres. Es regnete manchmal den ganzen Tag lang. Die Felder wurden grün. Dies war nur im April der Fall. Im Mai wurde es trocken. Ende Mai hatte es noch nie geregnet in Kafro. Das kam ihm schon sehr merkwürdig vor.
Als er hinausstarrte und den herabprasselnden Regen beobachtete, gingen ihm die Bilder seiner Hochzeit durch den Kopf. Sie hatten nach der Trauung in der Kirche des Abuna Malke auf der Weide der Nordseite des Dorfes getanzt. Die Aramäer tanzten Hand in Hand im Kreis. Zwar war er ein guter Tänzer gewesen, doch an jenem Tag hatte er sich geweigert, zu tanzen. Irgendetwas in ihm hielt ihn zurück. Seine Onkel und Tanten, seine Eltern und sein Bruder Malke, welcher inzwischen auch verstorben war, überreichten ihm üppige Geschenke. Da waren prächtige Kleider und Gewänder, handgemacht, dabei, Ziegen und Schafe, und auch Geld in Form von Silbermünzen.
An diesem Tag hatte er so viel gegessen wie noch nie in seinem ganzen Leben. Es wurden ganze drei Wildschweine geschlachtet und am Spieß über dem Feuer gebraten. Alle Aramäer des Tur Abdin liebten Schweinefleisch. In den Wäldern trieben sich viele Wildschweine herum. Auch Isa war einst ein leidenschaftlicher Jäger gewesen. Er hatte einmal ein flüchtendes Wildschwein aus über 20 Metern Entfernung getroffen.
Doch diese Zeiten waren lange vorbei und er war schon 45 Jahre alt geworden. Er seufzte und klagte, wie schnell das Leben doch an einem vorbeigehe und wie viel Kummer man über all die Jahre erdulden müsse.
Zwar liebte er seine Tochter, doch seine Schafe waren in gewisser Weise seine Kinder. Wenn sich eines von ihnen verletzte, so wie jetzt Basse, dann hatte er Mitleid mit ihnen, als wären sie Menschen. Er war kein Materialist. In all den Jahren war er ruhiger und in gewisser Weise spiritueller geworden. Er wollte nur noch seinen Seelenfrieden. Es war eine Flucht in eine andere Welt. Doch war er noch klar bei Verstand.
Sie hatte sich das vordere linke Bein am Felsen aufgeschlagen. Er hatte sofort seinen Holzstab weggeworfen, schrie sogar ihren Namen aus
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