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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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härter machen und skrupelloser.
    Er wusch sich nie das Gesicht.
    Dann erhob er sich und streckte seinen Körper. Er knackte an allen Stellen und der Mufti stöhnte laut auf. Dann lockerte er sich und stand wieder aufrecht in gelassener Körperstellung. Er atmete tief aus, wie ein Bergarbeiter nach dem Heben einer schweren Ladung.
    Er betrat die Küche. Neben den Töpfen, Bechern und den daneben liegenden Gewürzen, dem Obst und Gemüse, und dem sonstigen Geschirr, lag ein besonderes Messer. Er bückte sich vor und hob es mit seiner rechten Hand auf. Es war das schärfste Messer, welches er je gesehen hatte. Und die Seiten waren so fein, er konnte sie als Spiegel benutzen. Die Morgensonne strahlte durch das kleine Fenster auf der rechten Seite genau auf seinen Bauch. So senkte er seinen Arm und hielt das Messer in das Licht, bückte sich vor und betrachtete sein Gesicht. Was er da sah, gefiel ihm nicht. Zweifellos war er ein hässlicher Mensch. Das war er schon immer gewesen. Dies bedrückte ihn schon seit seiner Jugend. Als er seine schmalen Lippen auseinander nahm, sah er die verfaulten Zähne und presste sie wieder zusammen. Er seufzte und gab einen Verzweiflungsstöhnen von sich. Das Messer warf er in die Richtung des Topfes und verließ dann den Raum eilig.
    Mitten im Wohnzimmer hielt er inne. Er schaute um sich herum, als ob er etwas gehört hätte und einen Einbrecher vermutete. Seine Augen kreisten in seinen Augenhöhlen herum, entgegen dem Uhrzeigersinn. Früh morgens pflegte er dies immer zu tun.
    Er verharrte eine ganze halbe Stunde in dieser Position.
    Dann lachte er laut. Nicht, weil er an etwas Lustiges dachte.
    Noch einmal betrat er sein Schlafgemach. In der Ecke der linken Seite lagen seine verschiedenen Turbane auf einem Tisch. Heute setzte er sich seinen teuersten Turban auf, einen türkisfarbenen hochgesteckten. Er hatte ihn damals vor zwanzig Jahren in Mekka auf seiner Pilgerreise von einem türkischen Händler zu einem Schnäppchenpreis von nur zwei Denaren erworben.
    Er schlenderte zur Haustür, verließ das Haus und befand sich nun inmitten des Dorfes. Das Dorf schlief immer noch. Nur aus der Nordseite konnte er einige Männerstimmen grob hören. Er schlenderte auf dem Gehweg, seine Arme verschränkt ineinander hinter seinem Rücken. Jedes Haus betrachtete er eingehend wie ein Krimineller, welcher seinen Einbruch plant. Wenn er an einem Haus vorbei war, nickte er immer. Nach einigen Schritten erreichte er die Kirche des Dorfes. Er blieb stehen und stand neben dem Innenhof, östlich der Kirche. Er wandte sich um und sein Blick richtete sich auf das Gebäude. „Die Mutter Gottes-Kirche.“
    Warum diese Christen die meisten ihrer Gotteshäuser einer Frau weihten, würde er wohl nie begreifen, sagte er zu sich. Nur einmal bisher hatte er das heilige Gebäude der Christen von innen gesehen. Damals war er erst achtzehn Jahre alt gewesen und noch nicht zum Geistlichen ernannt worden. Seine Moschee auf der anderen Seite des Dorfes war zwar größer, doch innen war sie schlichter, denn die Christen hatten ihre Ikonen, den Muslimen jedoch war das Anfertigen von Ikonen nicht erlaubt. Seit jenem Tag, als er diese fein gemalten Heiligenbilder der Maria, des Jesus und von Johannes dem Täufer gesehen hatte, wünschte er sich, diese Gemälde zu besitzen.
    Er schlenderte den Weg zurück, von dem aus er gekommen war. Nach wenigen Minuten erreichte er seine Moschee. Er bestieg das Minarett. Es waren zehn hoch angesetzte Stufen. Das Ersteigen jeder Stufe war mühsam für ihn. Als er oben angekommen war, betrachtete er das Dorf. Es schlief immer noch. Es war so friedlich.
    Er schloss seine Augen, räusperte sich und nahm dann all seine Kräfte zusammen und rief seine Gläubigen zum Gebet. Nahezu alle Christen wurden aus ihrem Tiefschlag gerissen und diejenigen, welche schon wach waren, wurden nun hellwach. In diesen Augenblicken, wo dieser Mann auf diesem Turm so laut betete, verfluchten sie ihn und seinen Propheten.
    Musa schrie die heiligen Worte mit absoluter Leidenschaft aus seiner Kehle heraus. Gewiss war er fromm und daher so eifrig, doch tat er dies auch, um die Christen zu reizen.
    Von dort aus, auf seinem Minarett, konnte er nicht auf das Tal hinter dem Nordhügel schauen. Von dort würden die Türken kommen, das wusste er, das erwartete er. Doch bis jetzt ereignete sich nichts. Sein Gebetsruf dauerte immer etwa fünf Minuten lang. Als er fertig war, blieb er eine halbe Stunde lang auf dem Minarett.

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