Liebe und Völkermord
die Christen entkommen ließen und stattdessen in ihre Häuser stürmten. Er hätte es doch ahnen müssen, ärgerte er sich. Diese Türken waren einfach zu raffgierig. Irgendetwas musste er unternehmen. Er eilte auf dem Gehweg in Richtung Norden. Die Aramäer flüchteten in Richtung Osten. Er sah, wie sie den Hügel hinauf rannten. Einige wurden sogar von ihren Brüdern hinunter gestoßen. Dies bestätigte ihn darin, diese Aramäer wären Tiere und keine Menschen. Sie zu töten wäre also keine Sünde sondern die Erlösung.
Als er die Kirche erreichte, blieb er stehen und streckte lächelnd seine Arme aus. Eine Handvoll Soldaten trat an ihn heran.
„ Brüder, sie fliehen. Ihr dürft sie nicht entkommen lassen! Den Großteil ihrer Habe führen sie mit sich. Wenn ihr ihr Gold haben wollt, müsst ihr sie ergreifen! Dort sind sie. Beeilt euch!“
Sofort rannten die Söldner in Richtung Osten. Sie gaben ihren Kameraden Handzeichen und jene folgten ihnen.
Die Schreie der Flüchtlinge und der Opfer und die Schlachtrufe der Soldaten verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm und weckten die inneren Emotionen eines jeden hier anwesenden Menschen, wie er es in seinem ganzen Leben nur selten wieder erfahren sollte.
Die Masse der Soldaten wirbelte den Sand zu Staub auf, über dem ganzen Dorf stand nun eine Wolke.
Die letzten Massaker an den Christen ereigneten sich 20 Jahre zuvor. Damals war Musa Ibrahim noch ein junger Mann gewesen. Doch damals waren es mehr oder weniger Scharmützel und schlecht organisierte Überfälle von Möchtegern-Soldaten. Nur wenige Dörfer waren von den Massakern betroffen gewesen. Musa erinnerte sich jetzt an damals. Er hatte die Leichen auf den Straßen und im Fluss Tigris gesehen. Damals hatte er die Morde an den Christen verurteilt.
Die Türken rannten wie Wilde über das Dorf zum Hügel, nicht in geordneten Reihen. In des Imams Augen waren sie wohl keine gut ausgebildeten Soldaten.
Er machte zwei Schritte nach vorne, setzte seinen rechten Fuß nach vorne, streckte seinen rechten Arm aus und winkte mit seiner rechten Hand in seine Richtung. Drei Soldaten hatten sein Zeichen gesehen und kamen zu ihm. Er bat sie, ihm zu folgen. Er hastete zum Eingangstor der Kirche. Einer der Soldaten eilte ihm voraus und brach es auf. Musa schritt hindurch. Da stand Abuna Malke am Altar. Er kniete, seine Augen waren geschlossen, sein Haupt hing herab und sein Kinn drückte gegen seinen Oberkörper.
Der Imam zeigte auf ihn und sogleich eilten zwei Soldaten auf den Abuna zu und ergriffen ihn. Er wehrte sich nicht. Sie schleiften ihn zum Eingangstor bis zum Innenhof. Einer der Soldaten gab ihm einen Tritt in den Rücken. Abuna Malke fiel zu Boden. Doch er schrie nicht. Er wälzte sich auf dem Boden und lag nun auf dem Rücken, mit seinem Haupt genau gegenüber dem Imam. Der Soldat zu seiner Rechten zog seinen Säbel, den sogenannten Kilidsch, aus der Scheide hervor.
Abuna Malke öffnete seine Augen. Er schaute verwirrt um sich herum. Dann schaute er schockiert Musa an. Wie sehr hatte er diesem Mann vertraut. Nie hatte er einen Verrat durch ihn in Betracht gezogen.
Er weinte. Nicht, weil er gleich sterben würde, sondern wegen Musas Verrat. Sein Herz brannte. Der Rotz aus seiner Nase tropfte auf sein schwarzes Priestergewand herab. „Warum, Musa?“, sprach er seine letzten Worte mit seinen letzten Kräften.
Musa starrte ihn durch die Schlitze seiner Augen an, als wollte er ihn mit seinem Blick durchbohren. Gewiss, er hatte eine gute Beziehung über die letzten Jahre zu diesem Mann gepflegt. Und in der Hinsicht war schon eine gewisse Bindung zu ihm entstanden. Er verlor also einen Genossen. Doch was bedeuteten ihm noch all die unterhaltsamen Abende mit dem intelligenten Christenpriester? In Wirklichkeit brachten sie ihm nichts. Er redete sich ein, all die mit Abuna Malke verbrachte Zeit sei die reinste Verschwendung gewesen. War er doch nun am Ende seines Lebens angelangt. Viele Wünsche seiner Jugend hatte er sich nicht erfüllen können. Und jetzt musste er an die Zukunft denken, bevor er diese Welt verließ. Er sah sich als von Gott Berufener, von Gott mit einem speziellen Auftrag zur Welt gesandt, als einen Missionar. Der Islam sollte über das Christentum siegen und nur noch Muslime sollten die Welt bevölkern.
Und wenn er sich selbst bei der Vollendung dieses Auftrages bereichern konnte, dann führte er diesen Befehl umso freudiger aus.
Seine Lippen entfernten sich voneinander. Seine dunklen Zähne
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