Liebe Unerwuenscht
Das geschah so schnell und heftig, dass Sasse sich mit den Handschellen an den Kopf schlug.
Mit dessen Beherrschung war es nun vorbei. Er schrie wütend auf, schob die Handschellen in eine der Gesäßtaschen seiner Jeans, griff erneut nach Jennifers Handgelenken, umklammerte sie mit seiner linken Hand wie ein Schraubstock. Mit der rechten griff er nach der Dienstwaffe und drückte sie Jennifer hart in den Bauch. »Noch so eine Nummer, du blöde Lesbe, und du erlebst was.«
Jennifer, von der unvermuteten Eskalation der Situation völlig überrascht und überfordert, wollte Sasse von sich wegdrücken. Mitten in der Überlegung, was das für ein Knall war, der plötzlich die Luft zerriss, verlor sie das Bewusstsein.
2.
G eräuschlos drückte Caroline die Klinke hinunter und schob vorsichtig die Tür zum Krankenzimmer auf. Leise trat sie ein. Beim Anblick des uniformierten Beamten, der neben dem Bett saß, zog sie unmutig die Augenbrauen zusammen. »Was machen Sie hier? Die Patientin braucht absolute Ruhe«, fuhr sie den jungen Mann mit gedämpfter, aber barscher Stimme an.
»Ich habe Befehl, Frau Feiler zu bewachen«, erklärte der.
»Und sie zu erschrecken, wenn sie aufwacht? Machen Sie, dass Sie hier rauskommen. Pflanzen Sie sich samt Ihrem Stuhl draußen hin.«
»Aber Doktor, ich habe meine Anweisungen«, hielt der junge Mann entgegen. Doch die Festigkeit in seiner Stimme wich bereits der Autorität des weißen Kittels.
Caroline bemerkte es und scheute keine Sekunde, ihren Vorteil auszunutzen. »Das hier ist ein Krankenhaus. Und weil das so ist und ich die Ärztin bin, habe ich auch das Sagen. Die Frau ist meine Patientin! Und das bleibt so, bis sie dieses Gebäude in einem Zustand verlässt, von dem ich verantworten kann, dass Sie sie zum Polizeigebäude überführen.«
Der junge Beamte versuchte Haltung zu bewahren. »Ich werde das meinem Vorgesetzten mitteilen müssen. Es besteht schließlich Fluchtgefahr!« teilte er Caroline mit.
Die winkte gelassen ab. »Die Patientin ist nicht mal in der Lage aufzustehen, geschweige denn aus dem Fenster zu springen. Vielleicht sagen Sie das auch Ihrem Vorgesetzten.«
Caroline registrierte den Abgang des Beamten nur noch am Rande. Ihre Aufmerksamkeit galt der Frau im Krankenbett. Sie würde in der nächsten halben Stunde aufwachen – wenn alles gutging. Caroline nahm sich den Stuhl, den der junge Mann stehengelassen hatte, setzte sich rittlings darauf und blätterte in der Patientenmappe, die sie mitgebracht hatte.
Jennifer Feiler, sechsundvierzig. Noch in der Unfallstation hatten die Kollegen Röntgenaufnahmen vom Thorax mit dem Schussprojektil zwischen der vierten und fünften Rippe gemacht. Eine lebensbedrohliche Verletzung, welche die Unfallchirurgen zur Sofortoperation veranlasst hatte. Aufgrund starker Blutungen im Brustraum hatte man während der Operation fünf Blutkonserven zum Ausgleich des Blutverlustes gebraucht. Und auch jetzt, zwei Stunden nach der Operation, pumpte eine Infusionsapparatur Plasmaersatzstoffe in die Patientin, um deren Kreislauf zu stabilisieren. Eine Drainage sorgte für den Abfluss von Wundwasser.
Zusammen mit der Patientin und ihrer Krankengeschichte hatte Caroline vom Unfallchirurgen auch den Hinweis bekommen, dass es sich bei der Frau um eine Tatverdächtige in einer Morduntersuchung handelte. Auf Carolines fragenden Blick hin hatte er auch den Rest der Erklärung geliefert: Den Bauchschuss hatte sich die Frau bei dem Versuch zugezogen, sich der Festnahme durch Flucht zu entziehen.
Caroline musterte die blasse Gestalt vor sich, die gleichmäßigen Gesichtszüge, umrahmt von schulterlangen, blonden Haaren. An den schwachen Bewegungen der Patientin erkannte Caroline, dass Jennifer Feiler gleich aufwachen würde.
»Frau Feiler?« fragte sie leise.
Die Stimme, die von – woher? – kam, war fremd, aber angenehm. Sie nannte ihren Namen. Jennifer wollte die Augen aufschlagen, um die Person, welche zu der Stimme gehörte, anzusehen. Aber das war nicht so einfach.
»Frau Feiler?«
Jennifer kämpfte gegen die Schwere ihrer Lider. Sie klammerte sich dabei an diese warme Stimme, befahl sich, das dazugehörige Gesicht zu finden. Es musste irgendwo hinter diesem diffusen Schleier sein. Also los, Jennifer!
Was ihr als erstes ins Auge stach, war ein grelles Weiß. Dann eine hohe, schmale Gestalt. Schließlich verband sich beides zu Einem und bekam auch ein Gesicht, mit sich deutlich abzeichnenden Kieferknochen, kantig. Was ihm,
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