Liebe unter Fischen
gelesen«, rief er aus, » und wenn, dann nicht verstanden. Das ist doch alles Selbstdarstellungs-Scheiße. Wissen Sie, was Facebook für mich ist? Das ist so wie Die große Chance oder Germanys next Top-Irgendwas . Eine riesige Castingshow! Und alle sind gleichzeitig Kandidaten und Jurymitglieder und müssen rund um die Uhr beweisen, wie toll sie sind und wie gut es ihnen geht und dass sie es wert sind, geliebt zu werden. Dabei wissen die nicht mal, wer sie sind und was an ihnen liebenswert sein soll, weil sie sich selbst am allerwenigsten lieben !«
» Das ist doch Intellektuellen-Quatsch, was Sie da reden .«
» Außerdem ist Facebook von vorgestern«, fügte Fred trotzig hinzu. » Glauben Sie, ich habe meinen Computer zum Spaß zerstört? Ich verachte dieses jämmerliche Ersatzleben! Und während ich diesen Satz ausspreche, hat es auf Ihrem Ding da schon wieder fünfmal düdeldü gemacht und Sie haben drei Anrufe oder Postings oder sms oder Mails oder was versäumt! Ständig ist man dabei, irgendwas zu versäumen !«
Fred schenkte sich ein weiteres Glas ein und zündete sich eine Zigarette an, an der er zornig saugte. Susanne seufzte. Sie hatte mit ihrem Autor schon mehr Spaß gehabt.
» Alfred, Sie betrinken sich jeden Tag, arbeiten keinen Strich und gehen nicht mehr aus Ihrer Wohnung. Finden Sie das toll? Oder ein richtiges Leben im Gegensatz zum Ersatzleben ? Sie trauen sich ja nicht einmal mehr auf die Straße. Sie haben Angst !«
» Was ?«
» Angstzustände. Panikattacken. Burnout. Und Sie sind gerade dabei, in eine hartnäckige Depression zu schlittern, wenn Sie mich fragen .«
» Haben Sie studiert ?«
» Ich habe Erfahrung .«
» Mich hat dieser Psychokram noch nie interessiert. Ich helf mir selber. Wenn ich will .«
» Könnte ich vielleicht auch mal ein Glas Wein haben? Die zweite Flasche haben Sie fast alleine gesoffen .«
» Tschuldigung«, sagte Fred und leerte den Rest der Flasche gleichmäßig in beide Gläser.
» Sie sind doch der Meister der Überraschungen! Des Neuen, Frischen !« Susanne versuchte, mitreißend zu wirken. » Noch nie musste man von Ihnen eine Zeile lesen, die auch nur das geringste Klischee beinhaltete! Und jetzt das? Schriftsteller in der Schreibkrise in der unaufgeräumten Wohnung! Ist Ihnen so viel Klischee nicht peinlich ?« Ein Versuch, dachte Susanne. Eine kleine Charmeoffensive. Zuckerbrot. Doch Alfred Firneis zeigte nicht einmal den Anflug eines Lächelns. Stattdessen stellte er mit der größten Überzeugtheit fest: » Klischee hin oder her – was ich schreibe, ist Müll, das ist eine Tatsache .«
Susanne stöhnte und schob die Sojasprossen entnervt aus ihrer Reichweite: » Was soll’s. Mich geht’s nichts an .«
» Da haben Sie recht«, sagte Fred schnell. » Ich brauche Ihr Mitleid nicht .«
» Ich habe kein Mitleid mit Ihnen. Ich bin Ihre Verlegerin und möchte ein neues Buch .«
» Sie reden so viel! Und so laut! Ich weiß schon, Sie wohnen am Prenzlauer Berg, da sind die Leute alle ein bisschen laut und ein bisschen oberflächlich, aber übertreiben Sie es nicht ein wenig ?«
» Ich finde, Sie übertreiben, Alfred. Zumal Sie in einer Gegend wohnen, die längst von Latte Macchiato überschwemmt ist .«
Das saß. Zumal Fred schon länger überlegt hatte, doch nach Neukölln zu ziehen, wovon ihn in erster Linie die Anstrengungen einer Übersiedlung abgehalten hatten.
» Diese Mitte-Leute haben auf Sie abgefärbt«, sagte er, um wieder in die Offensive zu gehen. » Kohle. Sie wollen Kohle mit mir machen .«
» Ja. Auch! Und wissen Sie, warum? Ihr Erfolg hätte uns beinahe umgebracht. Klingt jetzt vielleicht doof, aber wir haben gleichzeitig Steuervorauszahlungen und Nachzahlungen zu leisten! Da kennen die keine Gnade. Dieses Schicksal wird Sie im Übrigen auch treffen .«
» Ich bin Österreicher .«
» Das wird Ihnen nichts helfen. Sie werden Geld brauchen !«
» Ich werde was anderes machen. Etwas, was sicher nichts mit Schreiben zu tun hat .«
» Oh Gott, jetzt fangen Sie wieder damit an !«
» Nein. Ich höre damit auf. Endgültig. Düdldidum. Sie haben schon wieder was versäumt. In Ihrem Ersatzleben .«
Susanne verstaute ihr Telefon in der Tasche. Am liebsten wäre sie jetzt gegangen, doch erstens war sie zäh, und zweitens entsprach es leider der Wahrheit: Sie brauchte tatsächlich einen Bestseller, um den S. Beckmann Verlag zu sanieren. Und der einzige Bestseller-Autor in ihrem Stall war nun mal Alfred Firneis. Ausgerechnet ein
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