Liebe unter Fischen
Firneis’ Wohnung sah es aus wie bei der Altpapiersammlung. Briefe, Werbeprospekte, Pakete stapelten sich auf dem Flur. Susanne hielt inne. Lauschte. Sie hörte jemanden in der Wohnung herumschleichen. Sie beschloss, weiter zu klingeln, wobei sie sich bemühte, den Rhythmus so nervenaufreibend wie möglich zu gestalten.
Endlich ging die Tür auf. Fred Firneis stand seiner Verlegerin leicht gekrümmt, aber keineswegs überrascht gegenüber. Er trug Shorts und ein ärmelloses Unterhemd, das mit seinen vielen Flecken als Menükarte der Nahrungsaufnahme der letzten Tage dienen konnte.
» Wusste ich’s doch«, sagte Fred.
» Wenn Sie es wussten, hätten Sie ruhig früher aufmachen können«, sagte Susanne, » darf ich reinkommen ?«
Fred gab zögernd den Weg frei. » Es ist nicht besonders aufgeräumt .«
Susanne drängte sich an ihrem Autor vorbei. Die Tür fiel zu. Es war ziemlich düster in Alfreds Altbauwohnung, weil der Schmutz auf den Fensterscheiben das Licht nicht so richtig durchließ. Susanne Beckmann sah sich um. Nicht besonders aufgeräumt, dachte sie, ist eine Untertreibung. Eine gewaltige Untertreibung. Es gab, genau genommen, nicht einmal einen freien Sitzplatz, den Fred seiner Verlegerin hätte anbieten können. Leere und halbleere Flaschen standen überall herum. Aschenbecher quollen über, Kartons mit Pizzaresten und Papiertassen vom Take-away-Chinesen blockierten Sofa und Stühle, Zeitungen und Zeitschriften stapelten sich auf dem Tisch.
» Wollen Sie was trinken ?« , fragte Fred, » Jack Daniels … Smirnoff? Bordeaux hab ich auch noch irgendwo … Montepulciano ?«
» Was ohne Alkohol ?«
» Leitungswasser .«
» Dann lieber ein Glas Wein .«
Susanne nahm einige der herumstehenden Gläser und beförderte sie in die Küche. Dort sah es noch schlimmer aus als im Wohnzimmer. Etwas verlegen lief Fred hinterher.
» Lassen Sie, ich wasch es selbst«, sagte Susanne, die bei ihrem Glas auf Nummer sicher gehen wollte.
» Warum kommen Sie zu mir ?« , fragte Fred.
» In Ihrer Spüle wachsen Pilze .«
» Die brauche ich für meine Pizza funghi .«
Da Susanne kein vertrauenswürdiges Geschirrtuch fand, hielt sie Fred das tropfende Glas vor die Nase.
» Wo ist der Wein ?«
Fred begann, zunächst in einem Küchenschrank, dann im Kühlschrank, danach im Wohnzimmer nach Wein zu suchen. Er fand nur leere Flaschen. Immerhin stieß er zufällig auf Jack Daniels und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Denn Whisky half bei Aufregungen wie einem unerwarteten Besuch.
» Ich ruf im Laden unten an«, sagte Fred. » Özer bringt mir Wein rauf, wenn er Zeit hat. Obwohl er Moslem ist. Kann aber ein, zwei Stunden dauern .«
» Warum gehen Sie nicht in den Laden runter und kaufen eine Flasche ?«
» Nein .«
Susanne sah Fred fragend an. Fred nahm noch einen Schluck aus der Flasche und seufzte: » Ich war schon seit Wochen nicht mehr draußen .«
» Warum nicht ?«
» Interessiert mich einfach nicht .«
» Wir gehen jetzt gemeinsam raus und kaufen eine Flasche Wein .«
» Nein, das machen wir nicht !« Fred bemerkte, dass er ungebührlich laut geworden war, deshalb setzte er hinzu: » Wissen Sie, draußen, da bekomme ich so … Schwindelgefühle. Aber das haben viele. Als würde sich alles drehen .«
» Wenn ich Sie an der Hand nehme, Fred, dann sind Sie in Sicherheit .«
» Ist wirklich nicht nötig. Mir ist da unten einfach zu viel los. Und wenn so viele Leute da sind, zum Beispiel im Supermarkt, kennen Sie das? Wenn das Herz so pocht? So schnell? Und total unregelmäßig? Mir wird davon schwindlig und dann lauf ich schnell heim, da kann mir nichts passieren. Ich ruf jetzt Özer an. Ist einer unserer letzten Türken hier im Kiez. Die werden alle verdrängt von Ihren Wessis aus Mitte mit den Luxuskinderwagen .«
» Erstens sind es nicht meine Wessis und zweitens sind Sie hier der Zuwanderer .«
» Warum sind Sie gekommen ?«
Susanne ging zu einem der Fenster im Wohnzimmer und riss es auf.
» Sie brauchen Hilfe«, sagte sie.
Frische Luft strömte herein und mit ihr Straßenlärm, Gelächter und Vogelgezwitscher.
Fred verschränkte die Arme: » Man soll keinem helfen, der nicht darum gebeten hat .«
» Alfred, Sie brauchen professionelle Hilfe .«
» Sie meinen einen Psychiater ?«
» Ich meine zunächst mal eine Putzfrau .«
22 . Juni
sms: Lieber Alfred! Bitte werfen Sie Ihren Computer an! Gruß Susanne
sms: danke für die reinigungskraft. ich fürchte, jetzt braucht sie
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