Liebe
Frage aus: Ist die Liebe ein zu allen Zeiten gleiches oder ein unterschiedliches Gefühl? Nun, auf der Ebene der körperlichen Erregung fällt die Antwort leicht. Unsere Emotionen sind viele hunderttausend Jahre alt, manche vielleicht sogar viele Millionen Jahre. Das gilt mindestens für unsere sexuelle Gier. Und auch die Botenstoffe wie Dopamin, Phenylethylamin und die Endorphine dürften seit sehr langer Zeit und in allen Kulturen gleich sein.
Danach aber wird es schwierig. Wie Stanley Schachter gezeigt hat, haben wir unsere Gefühle nicht einfach, sondern wir interpretieren sie. Die Muster für diese Interpretation aber sind ohne Zweifel verschieden. Bevor es die Idee der romantischen Liebe gab, empfanden sich die Menschen sicher als erregt oder verstört, aber wohl nicht als romantisch Liebende – der Begriff hatte noch keinen Inhalt. Das schöne Zitat von La Rochefoucauld, das diesem Kapitel vorangestellt ist, mag eine kleine Übertreibung sein, aber es ist durchaus etwas dran: »Wenige Leute würden sich verlieben, wenn sie nicht davon gehört hätten« -jedenfalls würden sie sich nicht »romantisch« verlieben. Ein Hinweis darauf könnte sein, dass in der Renaissance und im Barock von der Liebe nur ab und an die Rede ist. Gesellschaften wie die unsere aber, die nahezu pausenlos von der Liebe reden, lösen zugleich eine unglaubliche Nachfrage und einen schier unersättlichen Konsum von Romantik aus.
Was wir empfinden, wenn uns die Leidenschaft erfasst, ist alt; was wir uns dabei denken, nicht. Insofern ist es sicher richtig, die Liebe nicht nur für eine Erfahrung zu halten, sondern auch für eine Erfindung. Als solche unterliegt sie den Spielregeln von Wahrheit, Wissen und Macht. Mit anderen Worten: Es gibt Liebesideen, Liebesideale und mehr oder weniger stark beschränkte Liebesmöglichkeiten. Alle drei sind abhängig von der Gesellschaft, in der man lebt.
Die konkreten Vorstellungen der romantischen Liebe sind demnach niemals gleich, sondern von Zeit zu Zeit und von Kultur zu Kultur verschieden. Und auch innerhalb einer Kultur gibt es zahlreiche Unterschiede, abhängig von Gruppen, denen man sich zugehörig fühlt, und von Einflüssen, die man identitätsstiftend aufnimmt. Der Künstler und Bohemien des frühen 20. Jahrhunderts hatte meist andere Erwartungen an Romantik als der Kleinbürger. Zumindest beabsichtigte er mehr davon zu haben. Und die romantischen Vorstellungen von Uschi Obermaier und Uschi Glas waren Ende der 1960er vermutlich auch nicht ganz die gleichen. In diesem Sinne sind starke Zweifel angebracht, wenn die US-amerikanischen Ethnologen William Jankowiak von der Universtiy of Nevada in Las Vegas und Edward Fischer von der Vanderbilt University in Nashville die romantische Liebe zu einem »universellen Gefühl« erklären. Universell sind sicher die intensiven Gefühlsregungen, die Leidenschaft, die das Liebesobjekt überhöht und idealisiert und die nur noch an den geliebten anderen denken lässt. Nicht einmal Foucault hätte dies vermutlich bestritten. Doch starke rauschartige Gefühle machen noch keine allseits identische »Romantik«.
Ein unordentliches Gefühl wie die Liebe besteht nicht nur aus Emotionen, sondern vor allem aus Vorstellungen. Und die Vorstellungen wiederum entscheiden ganz maßgeblich über meine Erwartungen . Wäre die Liebe nur eine Emotion, so könnte der Partner in einer Liebesbeziehung nichts falsch machen. Hauptsache, ich lebe meinen Rausch. Und die Liebe wäre ein Fußballspiel nur auf ein Tor. Tatsächlich aber ist die Liebe ein Spiel auf zwei Tore. Ein kompliziertes Miteinander und Nebeneinander von Vorstellungen, die sich auf unterschiedliche Weise überschneiden. Das Mindeste, was ich von einem geliebten Menschen in einer Beziehung erwarte, ist, dass er meine Vorstellungen versteht . Und besonders schön ist es, sollte er viel (wenn auch nicht alles) davon teilen. Dies ist die mindeste meiner Erwartungen. Und ohne Erwartungen läuft in der Liebe gar nichts. Der freundliche
Satz des Pfarrers und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer: »Die Liebe will nichts von dem anderen, sondern alles für den anderen« ist sehr nett, aber falsch. Erwartungen gehören untrennbar zur Liebe dazu.
Die Liebe des Verwaltungs fachmanns
Wer sich geliebt fühlt, fühlt sich aufgewertet. Er empfindet sich in dem Maße als etwas Besonderes, wie er für einen anderen etwas Besonderes ist. Eine der wichtigsten Grunderwartungen der Liebe ist damit: »Mach, dass ich mich als
Weitere Kostenlose Bücher