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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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soziales System, gebildet aus Erwartungen. Genauer: aus weitgehend erwarteten und somit fest geschriebenen Erwartungen – eben aus Codes.
Was wir heute unter Liebe verstehen, ist weniger ein Gefühl als ein Code. Ein sehr bürgerlicher Code übrigens, von dem auch Luhmann annimmt, dass er im späten 18. Jahrhundert in Romanen erfunden wurde. Mit Luhmanns eigenen Worten: »In diesem Sinne ist das Medium Liebe selbst kein Gefühl, sondern ein Kommunikationscode, nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird.« 94
    Stimmt das, dann ist der Satz »Ich liebe dich!« keine Gefühlsäußerung wie etwa der Satz »Ich habe Zahnschmerzen«. Gemeint ist ein ganzes System von Versprechen und Erwartungen. Wer seine Liebe versichert, verspricht, dass er sein Gefühl für zuverlässig hält und dass er für den Geliebten Sorge trägt. Dass er also bereit ist, sich wie ein Liebender zu verhalten mit all dem, was dies in den Augen des anderen in unserer Gesellschaft bedeutet.
    Liebende kommunizieren mit Erwartungen. Doch wie jedermann und jede Frau weiß, ist dieser Prozess der Abstimmung von Erwartungen sehr prekär. Er ist überaus anfällig für Enttäuschungen. Denn Erwartungen können sehr leicht enttäuscht werden. In dem, was ich erwarte, was mein Liebespartner von mir erwartet, kann ich mich irren. Meine »Erwartungserwartungen« stabilisieren zwar die Beziehung, aber sie sind selbst natürlich alles andere als stabil. Ausgerechnet der zerbrechlichste aller Codes – und dies ist das Paradox der Liebe – soll das höchste Maß an Stabilität gewährleisten.
    Erschwert wird die Liebe auch noch dadurch, dass der Liebende sein Gegenüber notwendigerweise verklärt. Das Bild, das man sich vom anderen macht, wird durch die Liebe so weit verändert und bestimmt, dass der geliebte Mensch einer »normalen« Betrachtungsweise entrückt wird. Das ist ihre ganz eigene unverwechselbare Qualität: Der Liebende sieht nur das Lächeln, nicht die Zahnlücken. In Luhmanns unnachahmlicher Nüchternheit
heißt dies: »Der Außenhalt wird abgebaut, die inneren Spannungen verschärft (im Sinne von: intensiviert). Die Stabilität muss jetzt aus den persönlichen Ressourcen gewährleistet werden.« 95
    So stabil die Regeln der Liebe sind – der enorme Anspruch bei hoher Flüchtigkeit und Zerbrechlichkeit macht die Liebe gleichzeitig zu einer seltenen und deshalb unwahrscheinlichen Form von Kommunikation. Liebe ist demnach die ganz normale Unwahrscheinlichkeit, »im Glück des anderen sein eigenes Glück zu finden«. 96
    Weil ich um die Unwahrscheinlichkeit meiner Liebe weiß, wird sie sehr kostbar. Die Liebe ist ständig bedroht, schon weil ich mir des Problems »der Erhaltung von Unwahrscheinlichem bewusst« bin. 97 Wenn ich mich um meinen Partner sorge, tue ich es »aus Liebe«. Ich tue Dinge, die ich nie tun würde, aus Liebe. Ich sehe mir Filme im Kino an, die ich alleine nie sehen würde, und lausche gebannt Gedanken, die mich bei anderen Menschen niemals interessieren würden. All dies tue ich für den geliebten anderen Menschen und für unsere Liebe. Sosehr Gilbert Ryle auch fluchen mag, für Liebende gibt es die Liebe wie ein Kind oder ein Haustier: etwas, für das man sorgt und um das man sich sorgt.
    Die bekannte Paradoxie an der Geschichte ist, dass man seine Liebe ebenso verziehen kann wie Kinder oder Haustiere. Je mehr ich die Liebe gegen alle Risiken abdichte, umso größer ist die Gefahr, jene Spannung zu verlieren, die alle Liebe braucht. In Luhmanns Gedankenwelt ausgedrückt: Je mehr sich der Liebende sicher sein kann, dass seine Erwartungen an die Stabilität erfüllt werden, umso spannungsloser können die Liebesbeziehungen werden – im guten wie im schlechten Sinne. Perfekt abgestimmte Erwartungserwartungen sind zuverlässig, aber nicht eben prickelnd: Sie blenden genau die Unwahrscheinlichkeit aus, die den Reiz ausmacht. Die romantische Idee der Liebe als Einheit von Gefühl, sexuellem Begehren und Tugend, so Luhmann,
ist deshalb immer eine Überforderung. In der Welt eines anderen überhaupt Sinn zu finden – und sei es auch nur auf Zeit – sei deshalb schon viel.
    So weit Luhmanns Beitrag zur Theorie der Liebe. Die Vorteile dieses Blickwinkels sind offensichtlich: Nur wer den Sinn und die Regeln des fein abgestimmten Spiels der Erwartungserwartungen

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