Liebe
für die Wirtschaft, die Kunst oder die Verwaltung dagegen nicht.
In seinem Buch Liebe als Passion beschreibt Luhmann auch die Liebe als Funktionsgröße in einem gesellschaftlichen System – dem System der »Intimität«. Diese Ansicht ist zunächst erstaunlich, denn Luhmanns Lehrer Talcott Parsons hatte zwar die Gesellschaft in einzelne unabhängige funktionale Systeme zerlegt, aber Intimität hätte er niemals dazugezählt. Luhmanns Systemtheorie dagegen verarbeitet auch Gefühle. Gleich seine erste Vorlesung im Wintersemester 1968/69 hält Luhmann über die Liebe. Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Die Kommune 1 in Berlin probiert und studiert gerade neue Formen der Intimität. Die Hippie-Bewegung und love and peace nehmen ihren Ausgang. Der nüchterne Verwaltungsmann in Krawatte und Anzug ist seiner Zeit weit voraus. Er scheint zu ahnen, welches Erbe
von 1968 tatsächlich eine Revolution auslösen wird und welche Hoffnungen sich bald zerschlagen. Doch was hatte Luhmann über die Liebe zu sagen?
Auch Luhmann geht davon aus, dass es dem Liebenden darum geht, sich als etwas Besonderes zu fühlen – als ein Individuum. Je komplizierter die Gesellschaft wird, umso schwieriger ist das. Zehn Jahre Arbeit in Verwaltungen scheinen Luhmann darin bestätigt zu haben, dass es sozialen Systemen auf Individualität nicht ankommt. Der einzelne Mensch zerreißt sich heute in lauter verschiedenen Teilbereichen: Er ist Familienvater oder Mutter, er erfüllt eine Rolle im Beruf, er ist Sportkegler oder Badmintonspieler, er ist Mitglied einer Internet-Community und Nachbar, Steuerzahler und Ehegatte. Eine einheitliche Identität bildet sich auf diese Weise nur schwer. Wo das Soziale aus den festen Fugen gerät, zerbröckelt zugleich die Psyche. Und die Folge ist ein gesteigerter Liebeswunsch, weil »es in einer Gesellschaft mit überwiegend unpersönlichen Beziehungen schwierig geworden ist, den Punkt zu finden, in dem man sich selbst als Einheit erfahren und als Einheit wirken kann.... Was man als Liebe sucht, was man in Intimbeziehungen sucht, wird somit in erster Linie dies sein: Validierung der Selbstdarstellung.« 92 Zu Deutsch: Selbstbestätigung.
Zu diesem Punkt waren wir im 8. und 9. Kapitel bereits gekommen: Liebe in der modernen Gesellschaft ist der privilegierte Spiegel, in dem sich der Einzelne als etwas Ganzes erfährt. Der Liebende bindet sich an ein Gegenüber, das »an die Einheit von Sein und Schein glaubt oder zumindest dies zum Gegenstand seiner eigenen Selbstdarstellung macht, an die nun wieder der andere glauben muss«. 93 Doch wie funktioniert dieses seltsame Spiel wechselseitiger Selbstdarstellung denn nun eigentlich im Detail? Kann es überhaupt langfristig funktionieren? Und wenn ja – nach welchen Spielregeln?
Erwartungserwartungen
Für Luhmann ist die Liebe in der modernen Gesellschaft nicht nur ein Spiel, sondern ein Code – ein Spiel nach festgeschriebenen Regeln.
Das »Selbstkonzept« – oder die »Selbsttechnik«, wie Foucault sagen würde – des einzelnen Menschen ist das Ergebnis eines kommunikativen Austauschs. Es entsteht durch reden, lesen, hören, sehen, aufschnappen, nachdenken und so weiter. Das Wort »Kommunikation« ist ein Schlüsselbegriff bei Luhmann. Doch wie kommunizieren Liebende miteinander? Was ist das Typische an der Liebeskommunikation?
Der Stoff der Kommunikation im System »Intimität« sind nicht etwa Küsse, Umarmungen oder Worte. In Luhmanns Theorie sind dies allerhöchstens Kommunikationsformen. Der tatsächliche Stoff dagegen sind die Erwartungen . Sie bilden das Gerüst einer Liebesbeziehung und sind ihr eigentliches Thema. Doch wie werden Erwartungen ausgetauscht? Und was entsteht daraus? Mit anderen Worten: Wie schafft es die Kommunikation, Erwartungen so auszutauschen, dass ein System der »Intimität« entsteht, das halbwegs stabil und zuverlässig ist – einen Vorgang, den wir Liebe nennen?
Nun, zunächst einmal dadurch, dass die Erwartungen, die der Liebende an den Geliebten stellt, erwartbar sind. Wenn wir eine Liebesbeziehung haben, erwarten wir nicht in erster Linie, dass der andere Gewinne erzielt, Gesetze formuliert, Kunstwerke schafft oder Gottesdienste abhält. Wir erwarten Aufmerksamkeit, Zuwendung und Verständnis. Und wir gehen davon aus, dass der andere das Gleiche von uns erwartet. Wir gehen auch davon aus, dass der andere unsere Erwartungen kennt und richtig einschätzt. Das sind die Spielregeln.
Intime Liebesbeziehungen bilden demnach ein
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