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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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für die Soziobiologen und evolutionären Psychologen ist er ein stiller Star und heimlicher Held. Sein großes Verdienst soll sein, dass er den Prozess der Evolution weder durch das unmittelbare Lebensinteresse der einzelnen Tier- oder Pflanzenart noch durch das Interesse einer Gruppe, Herde oder eines Schwarms erklärte, sondern allein aus der Sicht der Gene. Das neue Zauberwort, das Hamilton einführte, lautet »Gesamtfitness«. Diese Gesamtfitness ist die Summe aus dem Fortpflanzungserfolg eines Individuums zuzüglich der Auswirkungen seiner Handlungen auf den Fortpflanzungserfolg seiner genetischen Verwandten.
    Hat Hamilton recht, so muss Darwins Buch von der Entstehung der Arten umgeschrieben werden, nämlich aus dem Blickwinkel der Gene, von denen Darwin noch nichts wusste. Nicht Arten passen sich demnach ihrer Umwelt an, sondern unser Erbgut. Als Gen wäre ich darauf erpicht, in einem möglichst gesunden Organismus zu leben, damit ich nicht vorzeitig sterbe. Ich hätte den sehnlichsten Wunsch, mich so oft wie möglich zu vervielfältigen. Dafür würde ich pausenlos Ausschau halten nach potentiellen Sexualpartnern. Und eine tiefe Liebe zu meinen nächsten Verwandten würde mich ergreifen, denn auch ihr Erbgut liegt mir verständlicherweise am Herzen. Bin ich tüchtig und erfolgreich, setzt sich mein Erbgut gegenüber anderen durch. Ich werde zu einer wichtigen Größe im Evolutionsprozess,
ja, ich treibe mit meinem Eigensinn die ganze Geschichte immer weiter vorwärts.
    Sollte diese Theorie stimmen, so öffnete sie der evolutionären Psychologie Tür und Tor zu allen menschlichen Verhaltensweisen. Die hartnäckigsten Riegel zu unseren sexuellen Gelüsten, unseren psychologischen Eigenheiten und charakterlichen Sonderbarkeiten würden mit einem Mal zur Seite geschoben. »Aus der Perspektive des Gens über die Selektion nachzudenken, bot der Evolutionsbiologie zahlreiche neue Einblicke«, frohlockt der US-amerikanische Evolutionsbiologe David Buss, denn »die Gesamtfitness-Theorie hat tief greifende Auswirkungen auf unser Verständnis von Familienpsychologie, Altruismus, Helfen, Gruppenbildung und sogar Aggression.... Zu Recht wird sie als die alles umfassende Theorie der Evolutionsbiologie verstanden.« 18
    Die Frage, die man angesichts dieser Begeisterung vielleicht noch stellen sollte, ist: Wie machen die Gene das eigentlich? Denn natürlich können Gene nicht denken. Und sie haben auch keine Interessen, Absichten, Ziele und Pläne. Sie verfolgen keine Taktiken und Strategien. Sie können nicht riechen, schmecken, fühlen und sehen. Sie haben kein Gehirn. Woher kommt die dunkle Allmacht der Gene, wenn sie bei Licht betrachtet zu fast nichts in der Lage sind? Sind solche Thesen eigentlich tatsächlich Wissenschaft? Oder ist Hamilton nicht vielmehr ein moderner Mystiker? Der Prediger vom göttlichen Gen, des Allmächtigen und Allwissenden – wenn auch ohne höhere Absichten als den eigenen Fortbestand?

Gen-Mystik
    Der Mann, der wie kein anderer Hamiltons Theorie zum Durchbruch verhalf, war der bereits erwähnte Richard Dawkins. Er wurde 1941 in Nairobi in Kenia geboren, und wie Hamilton, so
war auch er ein Kriegskind. Sein Vater kämpfte in der britischen Armee und kehrte erst 1949 von Afrika nach England zurück. Dawkins studierte in Oxford und promovierte 1966 in Zoologie. Als Hamilton seine Theorie veröffentlichte, war Dawkins Assistenzprofessor an der University of California in Berkeley, dem wichtigsten Zentrum der Studentenunruhen in den USA. Der Campus in Berkeley war ein Quell neuer gesellschaftlicher Ideen und sozialer Utopien. Aber auch ihre konservativen Gegner sammelten sich hier. Wer meinte, dass nicht die Biologie, sondern die Gesellschaft den Menschen zu dem mache, was er ist, dem konterte Michael Ghiselin in Berkeley mit der Idee, die er bald darauf »evolutionäre Psychologie« nannte.
    Die Unruhen verebbten, und Dawkins ging zurück nach Oxford, überzeugt von einer großen Zeitenwende in der Biologie und in der Psychologie. Der Traum von einer Professur freilich blieb ihm versagt. 25 Jahre lang bekleidete er lediglich eine Dozentenstelle am New College, obwohl er in der Öffentlichkeit inzwischen Weltruhm genoss. Sein Buch über Das egoistische Gen , in dem er Hamiltons Theorie popularisierte und zu einer allumfassenden Kulturtheorie ausspann, war ein Weltbestseller, und viele andere erfolgreiche Bücher sollten folgen. Die akademische Welt freilich blieb skeptisch. Denn Dawkins

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