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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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sinnvoll erscheinen zu lassen. Genau genommen ging es Hamilton in seiner neuen Umgebung unter Wirtschaftswissenschaftlern also nicht nur um eine biologische Theorie, sondern um eine Wirtschaftstheorie der Vererbung. In ihren Grundzügen lautet die Theorie so: Gene haben ein Interesse daran, sich zu erhalten. Die einzige Chance, die sie in einem sterblichen Organismus haben, besteht darin, sich auf einen anderen zu vererben. Je mehr Gene eines Lebewesens es schaffen, in der nachfolgenden Generation weiterzuexistieren, umso besser ist dies für das Lebewesen. In der Praxis der Vererbung und in der Partnerwahl bedeutet dies: Der Auftrag der Gene besteht darin, sich so gut wie möglich fortzupflanzen oder aber den nächsten Verwandten dabei zu helfen. Denn nahe Verwandte stehen einem Lebewesen bekanntlich genetisch nahe.
    Entsprechend seinem Umfeld in London fasste Hamilton diese Regel in mathematische Gesetze und stellte die ganze Sache unter das strenge Wirtschaftsprinzip von Kosten und Nutzen. Denn hat Hamilton recht, dann sind Gene im Grunde ihres Wesens Mathematiker und Ökonomen: Danach muss das Verhältnis von Nutzen zu Kosten für unser Erbgut größer sein als eins dividiert durch den Verwandtschaftsgrad. Alles klar?
    Ganz einfach: Wenn ich zwei Kinder bekomme, ist das im Sinne meiner Gene gut. Es gibt aber auch die Möglichkeit, ohne eigene Kinder meinen Genen eine Freude zu machen. Zum Beispiel dadurch, dass ich meinem (genetisch zu 50 Prozent identischen) Bruder durch intensive Kinderbetreuung helfe, fünf zusätzliche Nachkommen zu produzieren und großzuziehen. Im ersten Fall liegt der Wert bei 2, im zweiten Fall aber sogar bei 2,5. Entscheidend ist, was mit Einbezug meiner nächsten Verwandtschaft den größtmöglichen Teil meines Erbguts weitergibt. Nach Hamilton ist damit auch erklärt, warum Tiere und
Menschen auf den ersten Blick uneigennütziges Verhalten unter Verwandten zeigen – sie kalkulieren unbewusst die Kosten und den Nutzen für ihre Gene.
    Hamiltons Doktorarbeit, die er 1968 veröffentlichte, sorgte für einiges Aufsehen, aber sein Ruhm blieb beschränkt auf die Fachwelt. Die Öffentlichkeit diskutierte zu dieser Zeit geradezu das Gegenteil, nämlich den Einfluss der Gesellschaft auf die Geschlechterrolle und die Sozialisation. Hamiltons Wirtschaftsbiologie passte dazu wie ein Fisch auf ein Fahrrad. Außerdem war er ein lausiger Dozent, der umständlich schrieb und sich für die Lehre nicht eignete. Für die meisten war er ein Freak, obwohl sein Ruhm später in den 1980ern und 1990ern kontinuierlich wuchs. Er war Gastprofessor in Harvard und Säo Paulo, erhielt eine Professur an der Universität von Michigan in Ann Arbor, wurde Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Sciences, Mitglied der Royal Society in London und schließlich Professor in Oxford.
    Im Alter erreichte Hamiltons Hang zu exzentrischen Theorien seinen Höhepunkt. Die Fachkollegen schüttelten verständnislos den Kopf, als der Guru der Evolutionsbiologie meinte, dem Ursprung der AIDS-Epidemie auf der Spur zu sein. Seiner Meinung nach war die Krankheit deshalb ausgebrochen, weil westliche Ärzte in Afrika in den 1950er Jahren ein verseuchtes Serum bei der Polio-Schluckimpfung verwendet hätten. Die Idee dazu hatte er im Rolling Stone magazine gelesen. Hamilton ging in den Kongo, um dort seine Theorie zu beweisen. Feldstudien im Regenwald sind für einen Evolutionsbiologen nichts Ungewöhnliches. Doch Hamiltons bizarre Theorie überzog ihn mit Unverständnis und Spott von allen Seiten. Immer wieder mochte es vorkommen, dass weltberühmte und gefeierte Forscher im Alter sonderbar wurden. Der Chemiker Linus Pauling glaubte mit Vitamin C Krebs heilen zu können. Der Astronom Fred Hoyle verstieg sich zu der Ansicht, die Grippe käme aus dem Kosmos. Und Alfred Russel Wallace, Darwins kongenialen Entdecker des
Prinzips der natürlichen Auslese, zog es im Alter zu spiritistischen Sitzungen. Die entscheidende Frage war, ob Hamilton dagegen nicht immer schon sonderbar gewesen war. Seine Kongo-Mission unterschied sich von anderen befremdlichen Ideen durch ihren tödlichen Ausgang. Hamilton infizierte sich mit Malaria und wurde zurück nach England gebracht. Am 7. März 2000 starb er im Alter von 64 Jahren in einem Londoner Krankenhaus.
    Zum Zeitpunkt seines Todes hatte Hamilton das Image eines leicht spinösen Idols. Aber seine Ideen waren von besseren Stilisten und charismatischeren Darstellern vielfach popularisiert worden. Und

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