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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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untermauerte seine Theorien nicht durch eigene Versuche und erbrachte keine Beweise. In der biologischen Forschung hatte er sich seit seiner Doktorarbeit nicht mehr versucht. 1995 stiftete ihm der ungarisch-amerikanische Software-Milliardär Charles Simonyi einen Lehrstuhl für die allgemeinverständliche Vermittlung von Naturwissenschaft am Museum für Naturgeschichte in Oxford.
    Charakterlich ist Dawkins in vielem das Gegenteil seines Spiritus Rectors William Hamilton: ein charismatischer Redner, ein guter Stilist und ein mitreißender Lehrer. Doch seine Grundposition ist nahezu identisch. Wie Hamilton, so entwickelt auch Dawkins die Geschichte der Evolution aus der Perspektive des Gens. Mit sprachschöpferischer Lust beschreibt er den Organismus
der Tiere und Menschen lediglich als eine »Überlebensmaschine« für die Gene. Er ist nicht mehr als ein Vehikel, das die Gene gebaut haben, um sich besonders effektiv in die nächste Generation fortzupflanzen. In Dawkins’ eigenen Worten heißt das: »Was ist ein egoistisches Gen?... wenn wir uns die Freiheit nehmen, über Gene zu sprechen, als ob sie bewusste Ziele verfolgten – wobei wir uns immer wieder rückversichern müssen, dass wir unsere etwas saloppe Sprache in eine korrekte Ausdrucksweise zurückübersetzen könnten, wenn wir wollten -, so können wir die Frage stellen, welche Absichten ein einzelnes Gen denn nun eigentlich verfolgt? Dies erreicht es im Wesentlichen dadurch, dass es dazu beiträgt, die Körper, in denen es sich befindet, so zu programmieren, dass sie überleben und sich reproduzieren.« 19
    Die Botschaft dahinter ist unmissverständlich: Du bist nichts, deine Gene sind alles! Denn wie Dawkins in seiner kriegerischen Sprache schreibt: »Die Überlebensmaschinen begannen als passive Gefäße für die Gene, wobei sie diese mit kaum mehr versorgten als mit Wänden zum Schutz vor der chemischen Kriegsführung ihrer Rivalen...« 20
    Mehr als 20 Jahre lang war Dawkins’ Theorie vom Krieg der Gene in aller Munde. Viele Biologen mochten über die Radikalität und die Schlachtengesänge des Oxford-Dozenten schmunzeln. Aber die Idee, dass die Evolution ein Kriegsschauplatz der Gene ist, wurde gleichwohl von vielen geteilt. Eine Flut von populärer Literatur entstand in Dawkins’ Gefolge und freute sich an dem Spiel, den Menschen umzudeuten zu einer Gen-Bestie. In dieser Euphorie eines neuen angeblich sachlichen und wissenschaftlichen Blicks wurden die vielen klugen Einwände gegen den Dawkinswahn kaum gehört. Endlich, so schien es, konnte man den Menschen und seine Kultur von Grund auf neu verstehen und erklären.
    Es mag heute verwundern, wie diese Begeisterung möglich war, denn die Schwächen der Theorie vom »egoistischen Gen«
waren eigentlich kaum zu übersehen. Mit dem wirklichen Leben und Zusammenleben von Tieren und Menschen hatte das alles nicht viel zu tun. Erstaunlich deshalb, dass in der Theorie etwas als plausibel angesehen wurde, das in der Praxis gar nicht stimmte. Hätte Dawkins recht, so setzten sich überall im Tierreich und beim Menschen langfristig immer die besten Gene durch. Wie aber konnte es dann geschehen, dass ganz offensichtlich immer wieder Lebewesen entstanden und überlebten, die ihre Möglichkeiten zur Reproduktion nicht voll ausschöpfen? Haben meine Gene eine Fehlzündung, wenn ich darauf verzichte, jedes attraktive Weibchen zu begatten, oder wenn umgekehrt ein Weibchen darauf verzichtet, die maximale Anzahl an Kindern zu gebären? Den freiwilligen Verzicht auf Paarung und Reproduktion gibt es nicht nur bei Menschen, von Homosexualität bei Menschen und Tieren ganz zu schweigen.
    Auch Hamiltons Idee der Gesamtfitness mit ihren mathematischen Formeln und Theorien geht ziemlich scharf an der Wirklichkeit vorbei. Sie ist die Kopfgeburt eines Biologen an einer Wirtschaftsuniversität. Denn Verwandtschaftsbeziehungen spielen über das gesamte Tierreich gerechnet nur bei vergleichsweise wenigen Arten eine Rolle. Würmer, Käfer, Kellerasseln, Karpfen, Blindschleichen und Laubfrösche kennen keine Verwandten. Sie betreiben auch keine Brutpflege. Die Formel, dass das Verhältnis von Nutzen zu Kosten für ihr Erbgut größer sein soll als eins dividiert durch den Verwandtschaftsgrad, ist ihrem Bewusstsein fremd und auch ihrem Unterbewusstsein. Im Angesicht ihrer nahen Angehörigen regt sich nichts. Die Gene schlafen oder schweigen. Verwandte sind ihnen schnuppe. Adlerküken stoßen ihr jüngeres Geschwister aus dem Nest, um

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