Liebe
sein, aus denen sich unser Verhalten lupenrein ablesen lassen soll. Und solche Fixpunkte sind wichtig. Biologen nämlich lieben den Zufall und seine Unwägbarkeiten zumeist genauso wenig wie Theologen.
Als der französische Nobelpreisträger Jacques Monod 1970
in seinem Buch Zufall und Notwendigkeit die Biologie zu einem Herrschaftsgebiet der Zufälle erklärte, verunsicherte er die Biologen damit ebenso wie die Vertreter der Kirche. Denn Biologen suchen nach Gesetzmäßigkeiten und Regeln. Die Entstehung des Lebens auf der Erde und die Entwicklung der Pflanzen- und Tierarten mag zwar ein unstrukturiertes Chaos sein, aber dieses Chaos hat unbezweifelbar Methode.
Diese erklärte sechs Jahre nach Monod ein junger englischer Zoologe namens Richard Dawkins in seinem Buch Das egoistische Gen. Bis dahin war der gerade 35-jährige Dozent am New College der University of Oxford ein unbeschriebenes Blatt. Fast über Nacht avancierte er zu einem neuen biologischen Sinnstifter. Dawkins ist ein tief religiöser Atheist. Wie viele religiöse Menschen treibt ihn ein großes Bedürfnis nach Ordnung, nach Sinn und einer allumfassenden Erklärung. Seit jüngerer Zeit ist er einem noch größeren Publikum bekannt durch sein Buch vom Gotteswahn. Auf gleichsam alttestamentliche Weise versucht er die Welt davon zu überzeugen, dass er einen besseren und stärkeren Gott hat als das Christentum oder der Islam, nämlich einen Gott in den Genen: Sie sind allmächtig, allgewaltig und für alles verantwortlich. Sie durchwirken das ganze menschliche Dasein vom Mutterleib bis zur Bahre. Ihr Wille geschehe, wie im Tierreich so im Menschen.
Die Idee freilich, die Evolution aus der Sicht der Gene zu betrachten, war nicht eine Idee von Richard Dawkins, selbst wenn sie sich heute überall mit seinem Namen verbindet. Der Mann, der die Gene in den Mittelpunkt der Welt stellte, war einige Jahre älter als der Bestsellerautor, ein ausgewiesener Fachmann seiner Zunft und ein exzentrisches Genie.
William Donald Hamilton wurde 1936 in Kairo geboren. Sein Vater war ein Ingenieur aus Neuseeland und seine Mutter Ärztin. Seine Kindheit verbrachte Hamilton in England und Schottland. Während über Großbritannien der Luftkrieg tobte und Hamiltons Vater zuhause Handgranaten für die Landesverteidigung
baute, versenkte sich der Sohn in naturkundliche Bücher und sammelte Schmetterlinge. Eines Tages entdeckte Hamilton im Arbeitszimmer seines Vaters den Sprengstoff und werkelte damit herum. Die Explosion kostete ihn fast das Leben. In höchster Not amputierte ihm die Mutter mehrere Finger der rechten Hand. Es dauerte Monate, bis ihr Sohn sich von dem Unfall erholte.
Hamilton studierte Biologie in Cambridge. Es war eine höchst spannende Zeit, und die Atmosphäre in seinem Fach war geradezu elektrisiert. 1953, just in dem Moment, als Hamilton nach Cambridge kam, hatten der US-Amerikaner James Watson und der Engländer Francis Crick ebendort die Struktur der Doppelhelix und die Molekularstruktur der Nukleinsäuren entziffert. Zuvor galten beide Forscher nicht gerade als Leuchten ihrer Zunft, und ihre Kollegen aus der Chemie bezeichneten sie sogar als »wissenschaftliche Clowns«. Doch Watson und Crick belehrten sie eines Besseren. Der elementare Vorgang der Vererbung wurde biochemisch entschlüsselt. Und die Erforschung der Gene trat ihren Siegeszug an.
Hamilton sprang sofort auf den neuen Zug auf. Von Anfang an beschäftigten ihn zwei Fragen: Welche Rolle spielen die Gene im Prozess der Evolution? Und wie lässt sich diese Bedeutung mathematisch möglichst exakt berechnen? Darwins Evolutionstheorie benötigte dringend ein Fundament in der Genetik. Denn wenn Tier- und Pflanzenarten es fertig brachten, sich an ihre Umwelt anzupassen, dann musste diese Anpassung eine Methode haben – eine Methode nach den Spielregeln der Vererbung.
Die bis dahin vorherrschende Theorie untersuchte die Vorteile, die Anpassungen für das einzelne Tier oder die einzelne Pflanze brachten. Und sie bezog das Wohl einer Tierfamilie, einer Gruppe, Herde oder Horde in diese Überlegung mit ein. Hamilton dagegen vermutete, dass man das Pferd auf diese Weise falsch aufzäumte.
Seine eigene Idee kam ihm bezeichnenderweise in einem der Biologie völlig fernen Umfeld. Hamilton schrieb seine Doktorarbeit
an der London School of Economics and Political Science. Acht Jahre mühte er sich an dem Versuch, die Gesetze der Vererbung im Lauf der Evolution mathematisch zu berechnen und ökonomisch
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