Liebe
vormenschlichen biologischen Phase ebenso grundlegend unterscheidet wie diese von der anorganischen, präbiologischen.« 17
Selbst wenn die Evolution unseres Geistes unstrittig dadurch entstand, dass sich unsere Vorfahren an ihre physische und psychische Umwelt anpassten, so sind etwa Phänomene wie Eifersucht oder Partnerwahl in der heutigen Zeit nicht unveränderliche Konstanten des Menschseins, sondern kulturelle Variablen. Die Sexualmoral von Inuits am Polarkreis unterscheidet sich von jener der Bantus im Ituri-Urwald, so wie bereits die Partnerschaftsabkommen in schneeumtosten Höhlen im Neandertal nicht ganz die gleichen gewesen sein müssen wie vor 30000 Jahren in der Kalahari. Was in der Liebe und beim Sex akzeptabel oder inakzeptabel ist, entscheidet mithin nicht nur der Einzelne, sondern auch die Gemeinschaft, in der er lebt. Sie ist Teil jener »Umwelt«, an die er sich anpasst, früher wie heute.
Aus diesem Grund darf es nicht verwundern, dass die Brücken, die evolutionäre Psychologen in den Urnebel schlagen, nichts anderes als mal mehr und mal weniger plausible Geschichten sind. Es ist nicht überraschend, dass die meisten Psychologen, die den Menschen aus der Biologie erklären wollen, das Wort »Kultur« nicht besonders mögen. Denn Kultur macht alles nur kompliziert. Kultur ist diffus, Biologie ist klar. Der Verdacht allerdings ist, dass, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, es vielleicht auch andersherum sein könnte. Danach wäre Kultur vergleichsweise klar, Biologie dagegen eher diffus.
Geht es nach den evolutionären Psychologen, so stand am Anfang des Verhältnisses der Geschlechter zueinander der Sex – aber allem Anschein nach bleibt es in der evolutionären Psychologie immer beim Anfang. Die Liebe bleibt auf Mütter und Kinder
beschränkt, und was die Geschlechter beieinanderhält, ist eigentlich nur ein »Bindungswille«; ein relativ schwacher Klebstoff übrigens, verglichen mit der stets auseinandertreibenden Kraft unseres Sexualtriebs.
Aber wo kommt dieser Sexualtrieb, der so vieles bestimmen soll, eigentlich her? Und warum ist er – wie evolutionäre Psychologen fest glauben – bei Mann und Frau so ganz verschieden ausgeprägt? Wer den Menschen und sein Sexualverhalten verstehen will, so meinen evolutionäre Psychologen, der muss zunächst einmal den geheimen Auftrag unserer Gene verstehen lernen. Denn ihr »Programm« treibe uns an und sage uns, was wir tun sollen.
Stimmt das? Was hat es mit dem versteckten Wirken der Gene auf sich? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir in die Tiefen der Evolutionstheorie hinabsteigen, in die Welt der Gene und ihrer Funktion. Es ist ein ziemlich theoretisches Kapitel, in dem von der großen Frage des Buches nach der Liebe kaum die Rede sein wird. Den ungeduldigen Leser mag dies vielleicht etwas enttäuschen. Aber es geht immerhin um nichts weniger als um den ungeschriebenen Verfassungsauftrag unseres Daseins. Und die Frage danach, wie wir diesen Auftrag interpretieren, verrät uns sehr wesentliche Dinge über den Menschen und seine Psychologie. Es gilt ein sehr folgenschweres Missverständnis zu beheben. Wer sich dabei ein wenig langweilt, dem schlage ich vor, jetzt lieber 20 Seiten vorzublättern zum nächsten Kapitel. Hier werden unser Sexualverhalten und unsere Partnerwahl ganz praktisch und konkret. Alle anderen sind herzlich eingeladen.
2. KAPITEL
Ökonomischer Sex?
Warum Gene nicht egoistisch sind
Das einarmige Genie
Manche Menschen glauben an Gott. Andere aber glauben an die geheimnisvolle Zauberkraft der Gene. Ihrer Ansicht nach sind die Gene allmächtig. Sie sind die »Bauanleitung«, die »Blaupause«, der »Stoff«, aus dem wir sind. Die Gene regeln alles. Unsere Gesundheit, unser Erscheinungsbild, unseren Charakter und nicht zuletzt die Anziehung der Geschlechter sowie das Zusammenleben von Mann und Frau.
Die Fachliteratur der evolutionären Psychologen ebenso wie die populären Bücher der Wissenschaftsjournalisten sind voll von Erklärungen, wonach all unser Verhalten auf Erbinformationen zurückzuführen sei. Sie sind die heimlichen Agenten unseres Daseins, und sie bestimmen auch unsere Partnerwahl und unser Liebesspiel.
Die Entdeckung dieses geheimnisvollen Treibens der Gene war ein Glücksfall für die Biologie, und ohne sie gäbe es wohl auch keine evolutionäre Psychologie. Denn wenn die Sache mit der Steinzeit schon eine ziemlich wackelige Angelegenheit ist, so sollen zumindest die Gene wichtige Fixpunkte
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