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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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die heute vorherrschende Erklärung in der Evolutionsbiologie. Gene sind danach die Karosserien, aber nicht der Motor der Evolution. Zu viel anderes entscheidet mit über den Erfolg eines Lebewesens. Wenn äußere Umstände ein Lebewesen oder eine Art bedrohen, ist es vollkommen egal, wie gut ihr Erbmaterial ist. Gene schützen vor Fressfeinden ebenso wenig wie vor Vulkanausbrüchen. Zusammengefasst gesagt: Gene sind die Informationen, die nötig sind, um einen Organismus aufzubauen. Dieser Aufbau allerdings geschieht im Austausch des Lebewesens mit seiner Umwelt. Ist dieser Austausch erfolgreich, so dass es dem Tier oder der Pflanze gut geht, so überleben auch seine Gene. Nicht die Gene bestimmen über den Erfolg eines Lebewesens, sondern der Erfolg eines Lebewesens entscheidet über das Überleben der Gene.
    Von allen Evolutionstheorien ist diese Ansicht heute in der Fachwelt wohl am stärksten akzeptiert. Ihr Richard Dawkins war der Harvard-Professor Stephen Jay Gould, der 2002 einem langjährigen Krebsleiden erlag. Hinter Goulds glänzend geschriebenen und erfolgreichen Büchern steht freilich die Inspiration durch das Werk ungezählter Kollegen, die eine Fülle von Modellen ersannen, um die Entwicklungsgeschichte auf mehreren Ebenen zu erklären.
    Danach besteht der Prozess der Evolution nicht nur aus Auslese und Fitness, sondern auch aus Beschränkungen. Diese Hindernisse bei der Entfaltung eines Lebewesens oder einer Art können genetische Gründe haben, aber ebenso Beschränkungen in der Umwelt. Eine Tierart, die gezwungen ist, auf einer Insel zu leben, wird sich anders entwickeln als auf einem Kontinent. Manchmal ist das vorteilhaft, manchmal ist es ein Nachteil. Noch vor wenigen tausend Jahren lebten auf mehreren Mittelmeerinseln Elefanten, die allerdings kaum größer als Bernhardiner waren. Da die Elefanten nicht auswandern konnten, mussten sie mit einem kargen Nahrungsangebot auskommen
und schrumpften im Prozess der Evolution immer weiter zusammen. Biologen benutzen dafür das drollige Wort von der »Inselverzwergung«. Ganz offensichtlich schielten die Weibchen der Zwergelefanten nicht immer nach den größten und stärksten Bullen. Wäre es so gewesen, wären die Elefanten auf Kreta, Malta, Sardinien, Sizilien und Zypern wohl verhungert. Stattdessen war klein sexy, und die Zwergelefanten wurden erst von den Menschen ausgerottet.
    Der Ausflug in den gegenwärtigen Stand der Dinge in der Evolutionsbiologie zeigt, dass Dawkins’ Sicht heute ziemlich veraltet ist. Umso erstaunlicher freilich, dass Soziobiologen und evolutionäre Psychologen bis heute an der Theorie des »egoistischen Gens« festhalten. Aber vielleicht ist das bei näherer Ansicht so erstaunlich doch nicht. Solange wir es beim Verhalten des Menschen nur mit den Folgen aus den Wünschen, Absichten und Zielen unserer Gene zu tun haben, solange lässt sich der Mensch auf ziemlich schlichte Art biologisch erklären: Was ich für meine Triebe, meine Eigenheiten und Phantasien halte, ist in Wahrheit der mal geheime, mal offensichtliche Wille meines Erbguts.
    Mit der neuen Sicht der Evolution dagegen können evolutionäre Psychologen gemeinhin nicht viel anfangen. Ganz im Gegenteil sogar: Die Theorie von den unterschiedlichen Ebenen nimmt ihnen ihr Fundament. Was vorher berechenbar erschien, wird nun unberechenbar. Wahrscheinlich ist genau dies der Grund dafür, dass evolutionäre Psychologen überaus hartnäckig an einem vermeintlichen Fundament in der Evolutionstheorie festhalten, das in der Fachwelt gegenwärtig immer weniger akzeptiert wird. Selbstverständlich kann man nicht erwarten, dass bekannte Wissenschaftler nun ihren Lehrstuhl schließen und sagen: »Unser Fundament ist weg, wir haben uns geirrt!« Und doch könnte der Irrtum der evolutionären Psychologie sich am Ende noch als fruchtbar erweisen. Denn die neuen Theorien der Evolution bilden einen höchst interessanten Ausgangspunkt, um das große Problem der evolutionären Psychologen
zu lösen, das man Kultur nennt. Davon wird an späterer Stelle noch die Rede sein.
    Wer auf dem gegenwärtigen Stand der Dinge in der Evolutionstheorie argumentiert, wird sich jedenfalls nicht mehr mit der Frage herumschlagen müssen, wie ein so bewusstloses Etwas wie ein Gen Absichten haben kann und sein Sexualverhalten nach Zuverlässigkeit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit ausrichtet. Selbstverständlich hat Dawkins darauf hingewiesen, dass es sich bei seinem »egoistischen« Gen nur um ein Bild

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