Liebe
und Verliebtheit eine Verbindung – die freilich mit Vorsicht zu genießen ist. Denn in der Lebenswelt außerhalb der Röhre des Kernspintomografen tritt beides oft genug getrennt auf. Selbst wenn Verliebtheit oft mit sexueller Lust einhergeht, umgekehrt ist das gewiss nicht immer so. Ansonsten wäre, wer Pornografie konsumiert, pausenlos verliebt.
Das zweite, was wir wissen, ist: Begegnet uns ein Mensch, der uns sexuell anspricht, erhöht sich unser Ausstoß des Botenstoffes Dopamin. Die Folgen davon sind spürbar. Mit einer erhöhten Konzentration von Dopamin in der Blutbahn steigert sich die Aufmerksamkeit für unser »Ziel«. Die Herzfrequenz steigt, eine innere Unruhe überkommt uns, und wir haben das Gefühl, dass uns »heiß« wird. Aber wir sollten nun nicht, wie ein Ratgeber zum Thema, auf die seltsame Idee verfallen, dass Dopamin der »molekulare Initialfunke« ist, »der die Lust auf Sex in unserem Gehirn weckt«. 62 Die Lust auf Sex in unserem Gehirn wird durch unsere Psyche beim Anblick eines sexuell stimulierenden Menschen geweckt. Dopamin dagegen ist nur der getreue Diener, der unsere Empfindung in eine chemische Aufregung umwandelt und alle weiteren Dienstboten in Alarmbereitschaft versetzt. Die wichtigsten dieser Dienstboten sind Testosteron beim Mann und Östrogene bei der Frau. Sie lösen eine ganze Reihe von Vorgängen im Körper aus, sensibilisieren Berührungssensoren, stimulieren Nervenbahnen und sorgen über den Botenstoff Stickstoffmonoxid für eine erhöhte Blutzufuhr im Penis beziehungsweise in der Klitoris.
Eine besondere Aufmerksamkeit vieler Forscher liegt heute bei der Erforschung von Sexualdüften. Unser Geruchssinn ist eine rätselhafte Sache. Einerseits erscheint er im Vergleich zu unseren anderen Sinnen als unglaublich schlicht und unterentwickelt; andererseits aber hat er eine erstaunliche Macht über unsere Psyche. Ein Zauberwort in diesem Zusammenhang sind die sogenannten Pheromone, sexuelle Lockstoffe, deren enorme Bedeutung in der Welt der Insekten gut erforscht ist. Auch Menschen verströmen Pheromone, etwa das Androstenon, ein Umbauprodukt von Testosteron im männlichen Schweiß. Manche Studien scheinen zu belegen, dass Frauen für diesen Lockstoff empfänglich sind, allerdings nur in einer nicht allzu hohen Dosis.
Die spektakulärsten Entdeckungen der letzten Jahre machte der deutsche Zellphysiologe Hanns Hatt von der Ruhr-Universität
in Bochum. Hatt erforschte die menschliche Nase nach allen Regeln der Kunst. Er charakterisierte die Riechrezeptoren und entschlüsselte zugleich ihre Gene. Dabei entdeckte er, dass Menschen nicht nur mit der Nase riechen können, sondern auch mit der Haut. Sein größter Coup gelang Hatt, als er das Lockstoffmolekül entdeckte, mit dem Eizellen Spermien zielsicher zu sich heranlotsen. Das Bourgeonal hat einen betörenden Duft: Es riecht nach Maiglöckchen! Und offensichtlich ist es ebenso reizvoll für Spermien wie für Verliebte.
Die biochemischen Zutaten für unsere Lust sind also höchst verschiedener Natur. Zuerst ist es unsere ganz individuelle Psyche, die durch bestimmte Sinnesreize stimuliert wird. Durch sie ausgelöst zündet der Hypothalamus den Sexualzauber. Er sendet die Boten Dopamin und in geringerem Maße Serotonin aus, um Testosteron und Östrogene freizusetzen. Obwohl zahlreiche Unwägbarkeiten und nur unzureichend erforschte chemische Nebenreaktionen mit im Spiel sind, kann man diesen Prozess mit Helen Fisher als ein »emotionales System im Gehirn« beschreiben. Dieser allgemeine Zusammenhang ist uns heute in Umrissen bekannt.
Eine ganze Stufe komplizierter wird es, wie nicht anders zu erwarten, bei der Verliebtheit. Der Satz »Alles ist Chemie!« mag insofern richtig sein, als jede Reaktion meines Körpers sich biochemisch umsetzt, auch die Verliebtheit. Aber selbst wenn alles Chemie ist, so ist Chemie doch nicht alles. In wen ich mich verliebe, ist aus der Sicht eines Biochemikers noch weniger vorherzusagen und zu begreifen als die Stimulanzien meiner Lust.
Wenn wir uns verlieben, so hält dieser Zustand normalerweise deutlich länger an als die Lust. Die Lust kommt und geht, die Verliebtheit dauert, in der Regel zumindest einige Wochen oder Monate. Wenn wir verliebt sind, erleben wir – anders als bei der Lust – die Welt nahezu komplett anders. Unsere Wahrnehmung verändert sich, unser Denken, unser Körpergefühl. Unser gesamtes Selbst- und Weltverhältnis ist ein anderes. Wir tun
Dinge, die wir sonst nicht tun
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