Liebe
geringer ist als derjenige von Kindern mit enger Elternbeziehung. Oxytocin ist also eine Art Langzeitklebstoff. Bei Müttern löst es die Wehen aus, bestimmt die Milchzufuhr und intensiviert die Beziehung zum Kind. Bei menschlichen Paaren, so scheint es, könnte es den Bogen spannen von den ersten sexuellen Erlebnissen zur Langzeitbindung.
Es scheint so. Der Blick auf das Kleingedruckte allerdings macht den Kontrakt weit weniger klar, als es auf den ersten Blick scheint. Unstrittig ist, dass Oxytocin und Vasopressin ihre berauschende Wirkung auch beim Menschen entfalten. Männer erzeugen beim Sex Unmengen von Vasopressin und Oxytocin, bei Frauen ist es vor allem das Letztere. Je mehr von diesen Hormonen wir ausschütten, umso stärker ist der Rausch. Auch
die heftigen orgiastischen Muskelzuckungen in Penis, Gebärmutter und Vagina sind eine Folge von Oxytocin. Doch Wühlmäuse werden wir dadurch noch nicht. Bezeichnenderweise betonen gerade die Forscher der Mäuse-Studie, dass ihre Befunde auf den Menschen so nicht übertragbar sind. Die Oxytocin- und Vasopressin-Rezeptoren in unserem Gehirn sind nämlich völlig anders angeordnet als bei einer Wühlmaus.
Eindeutig bei der Rolle des Oxytocins für das menschliche Verhalten ist nur die sexuelle Stimulation. Seit Jahrzehnten spritzen Züchter ihren Tieren das Hormon, um sie sexuell zu motivieren. Hühner und Tauben werden in Minutenschnelle paarungsbereit, wenn man sie mit Oxytocin versorgt. Und Menschen, die guten Sex miteinander haben, stoßen ihr Oxytocin mitunter beim bloßen Anblick des anderen aus. Bindungen, die durch Sex ausgelöst werden, haben deshalb wohl tatsächlich einiges mit Oxytocin zu tun. So wie die erhöhte Oxytocin-Zufuhr der stillenden Mutter ihre Bindung zum Säugling intensiviert, so erhöht das Hormon zumindest unsere körperliche Zuneigung zu einem begehrten Partner.
Aber muss man dafür verliebt sein oder gar lieben? Vielen Untersuchungen zufolge stößt unser Körper bereits dann Oxytocin aus, wenn jemand anders uns umarmt, streichelt oder massiert. Das Hormon erzeugt eben nicht nur Erregung, sondern auch Zufriedenheit und Geborgenheit. Physiologisch betrachtet liegt hier der wichtigste Unterschied zwischen Sex und Selbstbefriedigung. Während unser Oxytocin- und Vasopressin-Ausstoß bei der Arbeit an sich selbst gering bleibt, hält er bei gelungenem Sex noch lange nach dem Orgasmus an: wir fühlen uns gut! Ein Gefühl, das uns, wie alle schönen Dinge, allerdings auch süchtig machen kann, sexuell hörig und krankhaft eifersüchtig.
Oxytocin und Vasopressin machen uns also glücklich wie eine Präriewühlmaus. Aber einen großen Unterschied gibt es gleichwohl: Sie machen uns nicht treu! Oxytocin ist ein »Wohlfühlhormon« und vielleicht auch ein »Bindungshormon«. Aber es ist
weder ein »Treuehormon« noch ein »Liebeshormon«. Hätten wir es mit einem Liebeshormon zu tun, so wären Präriewühlmäuse unausgesetzt Liebende. Selbst hartgesottene Biochemiker schrecken vor einer solchen kurzschlüssigen Interpretation zurück.
Zu allem Überfluss zerstörte der Populationsgenetiker Gerald Heckel vom Zoologischen Institut der Universität Bern im Sommer 2006 den schönen Schein vom genetischen Treueprogramm. Heckel untersuchte 25 Mäusearten, von denen alle ein wildes Leben führen, mit Ausnahme der Präriewühlmaus. Dabei kam er zu einem erstaunlichen Ergebnis. Die Oxytocin- und Vasopressin-Rezeptoren der Präriewühlmaus sind nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Genetisch betrachtet sind demnach alle Mäuse auf Treue programmiert, mit Ausnahme von zweien, darunter die bekannte Bergwühlmaus. Trotzdem aber benehmen sie sich nicht so! Läge es allein an jenem Gen, das die Hormon-Rezeptoren festlegt, so müsste es 23 treue Mäuse geben und zwei wilde. Stattdessen aber gibt es – dem Gen zum Trotz – 24 wilde und nur eine treue. Und selbst die treue Präriewühlmaus bleibt ihrem Partner zwar ein Leben lang verbunden, aber auch sie leistet sich gelegentlich einen sexuellen Fehltritt.
Was die Maus menschlicher macht, macht den Menschen weniger chemisch, als viele Wissenschaftler und Journalisten wahrhaben wollen. Unsere Gene auf Treue- oder Untreuecodes abzusuchen, dürfte sich damit erübrigen. Denn hat Heckel recht, so gibt es nicht einmal bei Mäusen einen strengen Zusammenhang zwischen genetischen Festlegungen und sozialem Verhalten. Vielmehr ist er sich sicher, »dass Monogamie bei Säugetieren unabhängig von der
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