Liebe
besonders erfüllten Sex. Und manchen grandiosen Sex haben wir mit Menschen, die wir nicht lieben. Vielleicht suchen Menschen manchmal tatsächlich das Beste für ihre Gene. Aber wesentlich öfter suchen sie mit ihrem Partner ein gemeinsames Hobby oder Sport, einen gleichen Fernseh-, Kino- oder Musikgeschmack, gleiche Urlaubsziele und Lieblingsrestaurants – und alles das ist evolutionsbiologisch ohne jeden Wert. Die Liebe zwischen Mann und Frau ist mehr als die Summe ihrer Teile. Sie ist eine eigenständige Größe ohne biologisch eindeutige Funktion, ein ornamentaler Spandrel von atemberaubender Schönheit und Komplexität.
Evolutionsbiologisch betrachtet ist Liebe damit kein ordentliches, sondern ein »unordentliches« Gefühl. Und diese Unordnung ist, wie wir noch sehen werden, nicht nur evolutionsbiologisch. Auch dass wir im alltäglichen Sprachgebrauch die Verliebtheit und die längerfristige Liebe (manchmal sogar auch noch die sexuelle Lust) unter das eine und einzige Wort »Liebe« fassen, macht Liebe zu einer ebenso unübersichtlichen wie unordentlichen Angelegenheit. Denn es gibt ja jedes davon auch ohne das andere! Lust, Verliebtheit und Liebe bauen nicht aufeinander auf. Zwar können sie sich für uns im Verhältnis zu einem geliebten Menschen überschneiden – tun es aber nicht immer und meist auch nicht für lange!
Schon auf der Ebene der Hormone sind Lust, Verliebtheit und
Bindung drei völlig verschiedene Angelegenheiten. Körperchemisch sind sie sich so fremd wie sehr flüchtige Bekannte. Genau das aber wirft einige sehr grundsätzliche Fragen danach auf, wie all dies eigentlich miteinander zusammenhängt: Emotionen und Chemie, Gefühle und Vorstellungen. Mit anderen Worten: Wie wird aus der Chemie im Gehirn etwas so unfassbar Komplexes wie eine Liebesvorstellung?
7. KAPITEL
Eine komplizierte Idee
Warum Liebe keine Emotion ist
Ein Gefühl garantiert nichts, ein Gefühl kann auch nicht täuschen. Ein Gefühl hat keine Wirklichkeit außerhalb der Psyche, die es spürt. Es ist ein Ereignis, keine Sache. Es wurzelt in sich selbst. Deshalb kann es vergänglich erscheinen wie ein Nachtfalter oder unsterblich wie ein Gott.
Karl Jaspers
Lust, Verliebtheit, Liebe
Liebe ist nicht alles im Leben; aber ohne Liebe ist alles nichts. Kaum etwas ist uns wichtiger als die Liebe. Sie ist die Zentralheizung unseres Universums, das Gefühl, das unsere Taten motiviert und ihnen Sinn gibt; sie bestimmt unser soziales Handeln, sie spornt uns an und ermutigt uns, doch sie treibt uns auch in die Eifersucht, den Hass und in die Selbstzerstörung. Über zwei Milliarden Google-Einträge hat das Wort love, über hundert Millionen entfallen auf die Worte Liebe und amour. Hunderttausende Bücher und Filme handeln von nichts anderem als der Liebe zwischen Mann und Frau. Dem Wort »Liebe« sind keine Grenzen gesetzt. Man kann seine Arbeit lieben, sein Vaterland, den lieben Gott, seinen Nächsten und sein Auto, man kann Tiere lieben, Melodien und Schokoflocken. Dem Wortsinn nach liebt
der Philosoph die Weisheit, der Philologe die Sprachen, der Philatelist seine Briefmarken und Philipp die Pferde. Auch ein deutscher Fernsehsender ist ganz von Liebe erfüllt: We love to entertain you. Die CDU umwarb ihre Wähler »Aus Liebe zu Deutschland«, und Michael Jackson schloss sich dem gerne an. Auf sein Verhältnis zu Deutschland angesprochen, hauchte das US-amerikanische Ufo bei »Wetten, dass...«: I love it!
Mit dem Wort »Liebe« darf jeder machen, was er will. Schon lange vor der US-amerikanischen Liebesinvasion der Sprache war der Gebrauch des Wortes inflationär. In den Gesellschaften des Westens ist heute in einem solchen Ausmaß von »Liebe« die Rede wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Tierliebe, Nächstenliebe, Gottesliebe, die Liebe zu den Dingen und die Liebe zwischen Mann und Frau fallen unter denselben Begriff. Mit der geschlechtlichen Liebe aber haben Tierliebe, Gottesliebe, Nächstenliebe und die Liebe zu den Dingen einzig den Aspekt der intensiven Bindung gemeinsam. Ebenso bedenklich ist, dass auch die verschiedenen Zustände im intensiven Verhältnis zwischen Frauen und Männern durch die »Liebe« zu einem großen Ganzen zusammengenagelt werden: die Lust, die Verliebtheit, die »Liebe im eigentlichen Sinne« und die Partnerschaft. Wir haben die »Liebe« damit einmal als Oberbegriff und einmal als Teilmenge. Diese seltsame Verschmelzung ist, wie wir noch sehen werden, ein
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