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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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Oxytocin.

Die Lektion der Wühlmäuse
    Präriewühlmäuse sind klein, braun und unscheinbar. Zu Hunderten Millionen bevölkern sie die Graslandschaften des Mittleren Westens der USA. In Höhlen versteckt, trauen sie sich nur nachts ins Freie. Mitunter fressen sie Körner von den Getreidefeldern, aber die Plage hält sich in Grenzen. Eigentlich sind Präriewühlmäuse nicht sehr berühmt.
    Seit etwa zehn Jahren jedoch ist Microtus ochrogaster ein Star der Liebesforschung. Allem Anschein nach nämlich zeichnet sich die braune Maus durch eine seltene Eigenschaft aus: Sie ist treu! Präriewühlmäuse leben monogam, und sie bleiben ein Leben lang zusammen. Beide Eltern ziehen gemeinsam die Jungen auf. Auch sonst erscheint der kleine Nager als ein Musterbeispiel katholischer Sexualmoral. Die erste sexuelle Begegnung von Männchen und Weibchen führt sofort zur lebenslangen Einehe. In der ersten gemeinsamen Nacht geraten die Mäuse geradezu in einen biochemischen Wahnzustand und paaren sich mehr als zwanzig Mal. Sie bauen ein gemeinsames Nest, kuscheln sich beim Schlafen aneinander und können auch sonst nicht mehr vom anderen lassen. Von nun an scheidet sie nur noch der Tod.
    Typisches Mäuseverhalten ist das nicht. Denn was der Präriewühlmaus selbstverständlich ist, ist ihrer nahen Verwandten, der
Bergwühlmaus ( Microtus pennsylvanicus), völlig fremd. Äußerlich kaum unterscheidbar, ist die Bergwühlmaus ein Don Juan ohne feste Bindungen: Jede paart sich mit jedem, wie es ihr gerade gefällt.
    Woher kommt dieser Unterschied? Was macht Mäuse treu beziehungsweise untreu? Diese Frage stellte sich eine US-amerikanische Forschergruppe um Thomas Insel, den Direktor des Yerkes Regional Primate Research Center der Emory University in Atlanta. Und die Antwort war erstaunlich einfach. Das Geheimnis liegt allein an zwei Hormonen: Oxytocin und Vasopressin. So ähnlich sich die beiden Mäuse äußerlich sind, so unterschiedlich funktioniert ihr Gehirn. Präriewühlmäuse verfügen über viele Rezeptoren für die beiden Hormone, Bergwühlmäuse dagegen nur über wenige. Die Folgen sind dramatisch. Wenn sich Präriewühlmäuse paaren, überkommt die Männchen ein Oxytocin-Rausch, und die Weibchen werden überflutet von dem ziemlich ähnlichen Vasopressin. Bergwühlmäuse dagegen werden von der Macht der beiden Hormone nur zart gestreift.
    Um der Sache auf den Grund zu gehen, machten Insel und seine Kollegen ein Experiment: sie manipulierten die Gehirnchemie. Die Forscher isolierten das Gen der Präriewühlmaus, das den Rezeptor für Vasopressin herstellt, und schleusten es ins Vorderhirn des Männchens der Bergwühlmaus ein. Und tatsächlich: Unter der Zufuhr von Vasopressin wurden die scharfen Bergwühlmäuse zu treuen Kuschelmäusen. Umgekehrt jedoch zerstörten Insel und Kollegen reihenweise glückliche Präriewühlmaus-Partnerschaften. Sie spritzten den Weibchen Oxytocin- und den Männchen Vasopressin-Blocker. Mit der Treue war es sofort vorbei – sie wurden spitz wie Bergwühlmäuse und zeigten »wahlloses Kopulationsverhalten«.
    Ein erstaunlicher Befund – aber was lernen wir daraus für die menschliche Liebe? Allerhand, sollte man meinen, wenn man die Bücher von Wissenschaftsjournalisten studiert. Von der Entdeckung des »Treuehormons« ist hier vielfach die Rede. Noch
weiter geht der deutsche Autor Bas Kast, für ihn ist Oxytocin sogar ein »Liebeshormon«. 64 Der Stoff, aus dem die Wühlmausehe ist, soll auch für die Liebe des Menschen richtungsweisend sein.
    Ist das richtig? Tatsächlich verfügen auch Menschen über die Hormone Oxytocin und Vasopressin. Sie wurden schon früh, zu Anfang des 20. Jahrhunderts, entdeckt, allerdings in erster Linie im Zusammenhang mit dem Flüssigkeitshaushalt des Menschen und seiner Verdauung. Blickt man in die Geschichte der Evolution, so sieht man rasch, dass vor allem Oxytocin sehr alt ist. Das kleine, aus nur neun Aminosäuren bestehende Molekül findet sich selbst bei Regenwürmern. Gebildet wird es im Hypothalamus und wandert von hier aus in den Hypophysehinterlappen. Seine Wirkung ist vergleichbar mit dem eines Opiats: Es wirkt sowohl anregend und berauschend wie auf gewisse Weise beruhigend.
    Dass Oxytocin-Rezeptoren einen wichtigen Einfluss auf die Bindungslust und Bindungsfähigkeit von Menschen haben, gilt heute als sehr wahrscheinlich. So etwa zeigte der Psychologe Seth Pollack von der California States University in Monterey, dass der Oxytocin-Haushalt von Waisenkindern

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