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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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bekommt. Oder die Geschlechterrollen der Eltern, die es sich abguckt. Wer in einer Familie ohne Streitkultur
aufwächst, hat es später schwer, sich durchzusetzen. Wer dagegen in einer Familie mit viel Temperament groß wird, hat die besten Chancen, selbst ähnlich temperamentvoll zu werden, und wird sich auch einen temperamentvollen Partner suchen, weil man sich sonst schnell langweilt. Wer dazu erzogen wird, immer nett und freundlich zu sein, vergräbt leicht seine Gefühle und kommt später nur noch schwer an sie heran. Wer in einer Familie mit viel Humor groß wird, hat es mit einem humorlosen Partner später sehr schwer und so weiter.
    Nicht immer suchen wir uns dabei einen Partner, der unserer Mutter oder unserem Vater nahe kommt. Oft fahnden wir nach dem genauen Gegenteil – allerdings selten mit Erfolg. Denn Partner, die völlig anders sind, als wir das von zuhause her kennen, bleiben uns in gewisser Hinsicht immer fremd. Das mag erotisch durchaus attraktiv sein, ist aber in Langzeitbeziehungen nicht unproblematisch.
    Fast automatisch neigen wir dazu, unser ganz persönliches Familiendrama später neu zu inszenieren. Wir verlassen uns auf Muster, die wir kennen, und fallen geradezu instinktiv in immer gleiche Rollen. Dabei sind der Phantasie unserer Psyche keine Grenzen gesetzt. Wer sich mit einem Liebesdefizit aus der Kindheit plagt, sucht sich zum Beispiel nicht selten einen Partner, der seine Erwartungen mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht. Als selbsterfüllende Prophezeiung bestätigt er uns, dass wir offensichtlich nicht liebenswert genug sind.
    Das Erstaunliche daran ist, dass die Bestätigung unserer Muster uns am Ende wichtiger zu sein scheint als das erhoffte Glück. Auch ein negatives Gefühl, wie zum Beispiel nicht allzu liebenswert zu sein, gehört zu unserer Identität. Und die Beharrungskraft dieser Identität ist meistens stärker als jeder Wunsch nach Veränderung. Ganz offensichtlich gibt es wesentlich mehr Menschen, die glauben, sich verändern zu wollen, als dass sie es tatsächlich wollen. Abgesehen davon, dass Hirnforscher unseren Charakter als Erwachsene nur zu maximal 20 Prozent für veränderbar
halten, ist es diese Beharrungskraft unseres Identitätsgefühls, das die beliebte Ratgeberliteratur zur Liebe allgemein so wirkungslos macht. Wir können nicht hingehen und uns über Nacht verändern, nur weil wir ein paar kluge Einsichten gewonnen haben.
    Beruhigend ist, dass eine solche Schönheitschirurgie der Psyche auch viel seltener notwendig ist, als wir oft glauben. Selbst wenn wir uns immer wieder die Falsche oder den Falschen auszusuchen scheinen, so falsch ist dieser Partner meist gar nicht. Jedenfalls nicht so sehr, dass wir nicht etwas für uns daraus lernen könnten. Und die absolut Richtige oder den absolut Richtigen gibt es für uns ohnehin wahrscheinlich nicht. Die Tyrannei, der wir uns aussetzen, wenn wir den für uns perfekten Partner suchen, bringt sicher mehr Unheil und Einsamkeit mit sich als ein paar abwechslungsreiche Falsche.
    Der Grund für diese oft erfolglose Suche ist leicht benannt: Die Menschen, die die meiste Farbe in unser Leben bringen, sind sehr häufig die am wenigsten Geeigneten für eine lange und nahe Partnerschaft. Und die, die am besten passen, verblassen mit der Zeit zu einem netten Grau. Diese Feststellung ist zwar keineswegs ein Naturgesetz. Und viele glückende Beziehungen beweisen, dass Farbe und Zueinanderpassen durchaus vereinbar sind. Gleichwohl aber sind Entfremdung und Langeweile die Klippen, über die eine Beziehung rutschen kann. Daraus lässt sich schließen, dass unsere Liebessehnsucht nicht, wie oft behauptet, in erster Linie auf Verständnis, Geborgenheit und Bindung ausgerichtet ist. In mindestens gleichem Maße sehnen wir uns nach Aufregung. Denn die Erwartungen an unseren Liebespartner sind – zumindest heute in den stark individualisierten Gesellschaften – zwei: Versteh mich! und: Mach mein Leben interessant!
    Kaum ein Mensch verliebt sich nur deshalb in einen anderen, weil er sich so gut verstanden fühlt. Wenn es stimmt, dass unser erotisches und unser partnerschaftliches Verhalten in der
Kindheit vorgeformt werden, so suchen wir auch später in der geschlechtlichen Liebe die beiden zentralen Funktionen unserer Eltern: Bindung und Anregung. Unsere Eltern geben uns nicht nur Geborgenheit, sie machen, jedenfalls zumeist, auch unser Leben interessant. Insofern sind Bindung und Stimulation die gleichberechtigten Bestandteile

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