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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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unseres Begehrens. Und sie sind dies auch – entgegen allem Anderslautenden – in der Liebe als einer längerfristigen Bindung. All unser romantisches Sehnen geht in diese Richtung.
    Romantik ist die Idee, der Verliebtheit unbegrenzte Dauer zu verschaffen und die Aufregung zu konservieren unter dem Begriff »Liebe«. Und selbst wenn dies zumeist nicht besonders gut gelingt – eine Liebesbeziehung ohne diesen romantischen Anspruch erleben wir vielleicht als eine Beziehung, aber gewiss nicht als geschlechtliche Liebe. Nicht das Vertrauen bringt uns dazu, unser Fühlen, Denken und Tun radikal zu verändern, sondern die Anregung und die Aufregung. Schon beim Verlieben geht es nicht ohne einen solchen gewaltigen Schub. Denn wer denkt schon beim ersten kitzeligen Flirt an die schmutzigen Socken des vertrauensvoll geteilten Alltags...?

Schwindelnde Brücken
    Die Capilano Canyon Suspension Bridge ist die längste Hängebrücke der Welt – jedenfalls für Fußgänger. 136 Meter weit spannen sich die Stahlkabel über den Capilano River nördlich der kanadischen Stadt Vancouver. 800 000 Besucher strömen jedes Jahr in den Nationalpark und bewundern die Aussicht auf die mächtigen Douglas-Fichten. Der besondere Clou aber ist die Brücke. 70 Meter über dem Abgrund schaukelt und wankt der Spaziergänger über den schmalen Holzsteg.
    Die Capilano-Brücke ist nicht gerade ein Ort für schwache
Herzen. Zudem konnte es auch passieren, dass man es hier an jemanden verliert. Im Jahr 1974 nämlich mussten die jungen Männer, die alleine auf die Brücke wollten, an einer bezaubernden jungen Dame vorbei. Sie fragte die Männer, ob sie Lust hätten, an einem wissenschaftlichen Experiment teilzunehmen. Jeder von ihnen sollte genau bis zur Mitte der Brücke gehen und die Natur auf sich wirken lassen. Anschließend sollten sie ihren Eindruck kreativ festhalten in einer kleinen Geschichte oder einer Zeichnung. Wenn sie zurückkamen, gab die Dame den Herren ihre Telefonnummer: Falls sie Lust hätten, etwas über das Ergebnis der Studie zu erfahren. Die Hälfte aller Teilnehmer des Versuchs riefen später tatsächlich an.
    Die Idee zu diesem Test hatten zwei junge Wissenschaftler aus Toronto, Donald Dutton und Arthur Aron. Dutton hatte gerade eine befristete Stelle an der University of British Columbia in Vancouver angetreten und befasste sich dort mit Gefühlen. Der Versuch mit der Brücke machte Dutton und Aron über Nacht berühmt. Aber mit Landschaftseindrücken, wie gegenüber den Touristen angegeben, hatte das Experiment gar nichts zu tun. Das Einzige, was die beiden Psychologen interessierte, war die Frage: Wie viele der Herren rufen nachher an?
    Ihre Hypothese war klar und einfach: Weil der Gang über die schwankende Hängebrücke die Männer in Aufregung versetzt, reagieren sie besonders emotional auf die hübsche junge Dame; ihr Interesse an der Frau wird gesteigert.
    In einem zweiten Versuch schickten Dutton und Aron die Dame zu einer nahe gelegenen einfachen Holzbrücke und wiederholten das Experiment. Und siehe da: Nicht einmal 15 Prozent der Männer griffen nachher zum Telefon und riefen die Frau an.
    Auffällig war auch noch etwas anderes: Die Geschichten, die auf der Hängebrücke geschrieben worden waren, enthielten eindeutig mehr sexuelle Anspielungen als die Geschichten von der normalen Holzbrücke. Was war geschehen? Haben Dutton und
Aron recht, so hatten die Männer ihre Aufregung auf der Brücke in eine Erregung gegenüber der jungen Dame umgemünzt. Je stärker der Kick auf der Brücke, umso sexuell interessierter waren die Männer.
    Donald Dutton ist heute Professor für forensische Psychologie an der University of British Columbia; Arthur Aron unterrichtet Psychologie an der Stony Brook University in New York. Aus ihrem berühmten Versuch zogen sie zwei Schlüsse, einen theoretischen und einen praktischen. Theoretisch interessant ist, dass unsere Emotionen oft so unbestimmt sind, dass wir sie gar nicht eindeutig interpretieren können. Eine Erregung zu haben und sie zu verstehen, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Nur so kann es vorkommen, dass ein Gefühl wie Angst oder Aufregung schließlich als sexuelle Erregung seinen Niederschlag findet. Dutton und Aron deuteten diesen Vorgang auf der Brücke als »Fehlattribution«. Zu Deutsch: Die Männer hatten sich offensichtlich selbst missverstanden.
    Dass eine körperliche Emotion und ihre psychische Interpretation zwei verschiedene Dinge sind, ist eine Idee des

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