Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
Vom Netzwerk:
die Enttäuschung, wenn ein Liebespartner, den man im aufregenden Urlaub kennengelernt hat, in der Heimat rasch seinen Zauber verliert. Das Besondere und Außergewöhnliche geht verloren, und genau auf diesen Reiz kommt es in jeder Liebe an. Einen Partner, den wir nicht als »besonders« empfinden, lieben wir nicht mehr. Und wen wir lieben, den empfinden wir als »besonders«. Ja, Liebe selbst erscheint uns als eine »Besonderheit«, ansonsten würden wir wohl nicht
mehr von ihr als »unserer Liebe« sprechen. Ohne das Gefühl des Besonderen geht nämlich gar nichts.

Liebe als Besonderheit
    »Fünf große Küsse hatte es gegeben seit 1642 v.Chr., als sich Saul und Delilah Korns zufällige Entdeckung über die westliche Welt auszubreiten begann. (Vorher hakten die Pärchen die Daumen ineinander.) Und die genaue Einstufung der Küsse ist eine riesig schwierige Angelegenheit, bei der oft große Kontroversen entstehen, denn wenn sich auch über die Formel Leidenschaft mal Keuschheit mal Intensität mal Dauer alle einig sind, so hat doch jede eine etwas andere Meinung darüber, wie viel Gewicht jedes dieser Elemente erhalten sollte. Aber egal nach welchem System, bei fünf Küssen herrscht allgemeine Übereinstimmung, dass sie vollwertig waren. Und dieser eine nun übertraf sie alle.« 72
    Lassen wir einmal beiseite, dass Biologen und Anthropologen den Ursprung des Kusses bei der Mund-zu-Mund-Fütterung unserer Primatenzeit ansetzen: Es gab noch keine Babynahrung, und alles Weichgekaute wurde ohne Umweg weitergegeben. William Goldmans Erfindung des Kusses im Judentum, von der er in seinem brillanten Roman Die Brautprinzessin erzählt, ist allemal schöner. Und dass das, was wir beim Kuss eines geliebten Menschen empfinden, lediglich ein Relikt aus der oralen Phase sein soll, blenden wir zu Recht gerne aus. Für den Rest der Angelegenheit gibt es einen Eintrag in Wikipedia, der sich im Tonfall von Goldman übrigens kaum unterscheidet: »In der westlichen Kultur wird der Kuss meistens genutzt, um Liebe oder (sexuelle) Zuneigung auszudrücken. Normalerweise sind dabei zwei Personen beteiligt, die sich gegenseitig auf die Lippen oder andere Körperstellen küssen. Beim Küssen aus Zuneigung ist das körperliche Empfinden oft wichtig. Liebesküsse sind oft
lang und intensiv (z.B. Zungenkuss). An den Lippen sind besonders viele Nervenenden vorhanden, wodurch beim Küssen besonders der Gefühlssinn beteiligt ist. Weiterhin werden durch die Nähe beim Kuss Pheromone besonders gut übertragen. Ein Kuss kann so die Lust steigern.«
    Die besondere Pointe an der Goldman-Geschichte aber liegt nicht beim Küssen, sondern in seinen Superlativen. Denn was soll der tollste aller Küsse gemäß der Formel Leidenschaft mal Keuschheit mal Intensität mal Dauer, wo doch jeder Kuss unter Verliebten im Verdacht steht, etwas ganz Besonderes zu sein.
    Das Gefühl der Besonderheit ist mit der Liebe untrennbar verbunden. Wenn es richtig ist, dass jede geschlechtliche Liebe zu einem wichtigen Teil Selbstdarstellung im Blick des anderen ist, so kommen wir um die Besonderheit kaum herum. Wir empfinden den anderen als »besonders«, schon weil wir uns selbst für etwas Besonderes halten wollen. Denn nur der Blick eines besonderen Menschen macht uns besonders. Auf diese Weise wird unsere Liebe eigentlich immer zu einer besonderen Liebe – jedenfalls solange wir sie noch fühlen und an sie glauben.
    Der Mechanismus, der dahintersteckt, ist nicht schwer zu beschreiben. Alle Besonderheit kommt durch Gefühle in unser Leben. Logische Überlegungen und routiniertes Handeln stiften diesen Kick eher nicht. Durch unsere Gefühle aber erleben wir die Welt als aufregend, deprimierend, kurios, verrückt, seltsam, erregend und so weiter. Gefühle verleihen unserem Erleben Qualität, Wert und Wichtigkeit. Die Liebe aber ist genau das Gefühl, das uns das Gefühl gibt, ein besonderes Gefühl zu haben. Mit anderen Worten: Das Thema der Liebe ist ihre eigene Besonderheit.
    Was wir fühlen, daran sind wir innerlich beteiligt. Und ein so starkes Gefühl wie die Liebe gibt uns das Gefühl einer maximalen innerlichen Beteiligung. Über die Erfahrung des anderen werden wir uns auf besondere Weise wichtig. Und aus dem Wunsch nach Besonderheit, den das »besondere« Gefühl in mir auslöst,
entsteht unser ganz persönliches Liebeskonzept. Liebende konstruieren sich eine gemeinsame Wirklichkeit. Und jedes Liebespaar baut sich auf diese Weise seine eigene Welt. Dinge werden

Weitere Kostenlose Bücher