Liebe
dass wir sicher waren, weite Wege gehen zu müssen. Seiner führte ihn schließlich nach Ludwigshafen und meiner nach Luxemburg. Die Chance, seine Liebe in der Gegenwart zu finden, ist Gott sei Dank größer als in der Vergangenheit. Und die weitesten Wege müssen die Wahrscheinlichkeit, zueinander zu passen, nicht unbedingt erhöhen.
Aber wen haben wir eigentlich gesucht und gefunden? Woran haben wir gemerkt, dass es die Richtige war? Und woran erkannte sie uns als den Richtigen für sie? Waren wir frei, als wir unseren späteren Frauen begegneten? Frei, uns zu verlieben oder auch nicht? Was in uns nahm uns derart gefangen? Was traf ins Schwarze unseres nicht nur sexuellen, sondern auch metaphysischen »Beuteschemas«?
Man muss feststellen: Die Psychologie der Willensfreiheit beim Verlieben ist nicht gerade gut erforscht. Das ist auch nicht verwunderlich. Weder Tests noch Hirnscans schlüsseln uns diesen Vorgang auf, und das ist auch durchaus gut so. Nähern wir uns also auf einem anderen Weg. Wenn es richtig ist, dass beides, unser Bedürfnis nach Liebe und unsere Fähigkeit zu lieben, aus
unserer kindlichen Prägung stammen, so muss die Auswahl unserer Liebespartner auch viel damit zu tun haben: mit unseren Eltern und vielleicht auch in abgeschwächter Form mit unseren Geschwistern und anderen sehr wichtigen Bezugspartnern.
Schon Sigmund Freud hatte die enorme Bedeutung des Eltern-Kind-Verhältnisses für unser späteres Begehren erkannt. Zugleich aber stiftete er eine Menge Verwirrung, weil er fälschlicherweise annahm, die Liebe entspränge der Sexualität. Um diese Theorie zu unterfüttern, musste Freud das Kleinkind auf übertriebene Weise sexualisieren. Die Folgen dieser von Freud erfundenen Ansammlung von vermeintlichen Neid- und Angstkomplexen für die Psychoanalyse sind bekannt. Es kostete Freuds Schüler und Nachfolger eine Menge Mühe, den gordischen Knoten aus frühkindlicher und angeblich frühkindlich-sexueller Prägung wieder zu durchschlagen.
In der Auseinandersetzung mit seinen nächsten Bezugspersonen erschafft sich das Kind seine Welt. Und es entwickelt zugleich seine Vorlieben, Bedürfnisse und Ängste für eine spätere Liebe. Doch wann und auf welche Weise bilden sich diese Vorstellungen aus?
Der Mann, der dazu die kühnsten Diagnosen wagte, ist John Money, dem wir schon im 5. Kapitel begegnet sind. Seiner Ansicht nach prägt sich das Muster für unser emotionales Beuteschema im Alter zwischen fünf und acht Jahren aus. In dieser Zeit setzt sich nach Money das Mosaik all der Merkmale zusammen, die wir später bei einem Partner suchen werden. Auf diese Weise zeichnen wir uns eine Liebeskarte (lovemap), einen Orientierungsplan für unser späteres Verlieben und Lieben. Nur die sexuelle Ausprägung ist mit acht Jahren noch nicht abgeschlossen; sie festigt sich aufgrund der Vorgaben unserer Liebeskarte erst in der Pubertät.
Als Money das Wort Liebeskarte 1980 das erste Mal benutzte, glaubte er damit die Formel gefunden zu haben für die »Wissenschaft vom Sex, die Geschlechterunterschiede und die Paarbindung«.
71 Der ehemalige Apostel der freien Geschlechterwahl war ins Lager der Biologen gewechselt, ergänzt durch einige Überlegungen zur Transzendenz des Ego. Geht es nach Money, so projizieren Liebende wechselseitig ein Idealbild aufeinander. Genau jenes nämlich, das sie als Liebeskarte in der Kindheit gespeichert haben. Mit anderen Worten: Wenn wir meinen, jemanden zu lieben, erliegen wir einer selbst ersponnenen Illusion. Wir lieben gar keinen anderen Menschen, sondern nur unsere eigene Projektion. Kein Wunder also, dass es mit dem Zauber nach einer Weile vorbei ist. Denn kein Mensch hält, was die Projektion verspricht.
Die biologische Pointe daran ist die Idee, dass es mit unserer Willensfreiheit beim Verlieben nicht weit her ist. Denn wenn es stimmt, dass wir uns schon als Kinder unbewusst festlegen, haben wir als Erwachsene kaum noch eine Wahl. Was uns als das ganz normale Chaos unserer Psyche, unserer Launen und unserer einander widerstreitenden Gefühle und Bedürfnisse erscheint, wäre in Wirklichkeit nur Orientierungsarbeit beim Erkunden unserer Liebeskarte. Und was wir für die Freiheit der Wahl halten, ein Fahnden nach unserem instinktiv längst festgelegten Willen.
Für einen Wissenschaftler sind dies gute Nachrichten, denn sie machen den Mechanismus des Verliebens einigermaßen berechenbar. Unsere Liebeskarte wäre demnach der Feldherr, der Phenylethylamin und Oxytocin
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