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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Wir einigten uns darauf, ein Bier im KB trinken zu gehen, und auf dem Weg dorthin fiel der tranceartige Zustand von uns ab und wich einer freudigen, begeisterten Stimmung. Meine sonst übliche Verlegenheit in der Nähe einer so attraktiven Frau wie ihr, die durch die Geschehnisse drei Jahre zuvor noch kompliziert wurde, war plötzlich verschwunden. Sie erzählte, dass sie einmal bei einer von Bergmans Proben an ein Scheinwerferstativ gestoßen war, woraufhin sie seinen geballten Zorn zu spüren bekommen hatte. Wir sprachen über den Unterschied zwischen Gespenster und Peer Gynt , die sich diametral gegenüberstanden, das eine Stück nur Oberfläche, das andere nur Tiefe, beide gleichermaßen wahr. Sie zeigte uns ihre Parodie von Bengt Ekerot als Tod in Das siebte Siegel und diskutierte einzelne Bergman-Filme mit Geir, der jahrelang allein in jede Vorstellung der Cinemathek gegangen war, und folglich praktisch alles gesehen hatte, was an Filmklassikern sehenswert war, während ich dabeisaß, zuhörte und einfach nur glücklich über alles war. Glücklich darüber, die Vorstellung gesehen zu haben, glücklich darüber, nach Stockholm
umgezogen zu sein, glücklich darüber, mit Linda und Geir zusammenzusitzen.
    Nachdem wir uns getrennt hatten und ich den Anstieg zu meiner Bleibe auf dem Mariaberget hinaufstapfte, wurden mir zwei Dinge klar.
    Erstens, dass ich sie möglichst schnell wiedersehen wollte.
    Zweitens, dass ich in das, was ich an diesem Abend gesehen hatte, hineinkommen musste. Nichts anderes war gut genug, nichts anderes ging. Nur dorthin, zum Wesentlichsten, zum innersten Kern menschlicher Existenz würde ich mich bewegen. Wenn dies vierzig Jahre dauerte, dann dauerte es eben vierzig Jahre. Aber das Ziel durfte ich nie aus den Augen verlieren, nie vergessen, dorthin wollte ich.
    Dorthin, dorthin, dorthin.
     
    Zwei Tage später rief Linda an und lud mich zu einer Walpurgisnachtfeier ein, die sie zusammen mit zwei Freundinnen geben würde. Ich dürfe gerne meinen Freund Geir mitbringen. Was ich auch tat. An einem Freitag im Mai 2002 gingen wir auf Södermalm zu der Wohnung, in der die Party steigen sollte, und versanken bald darauf tief in einer Couch, jeder mit einem Glas Punsch in der Hand und umgeben von jungen Stockholmern, die alle in irgendeiner Verbindung zum Kulturleben standen. Jazzmusiker, Theaterleute, Literaturkritiker, Schriftsteller, Schauspieler. Linda, Mikaela und Öllegård, die diese Party organisierten, hatten sich kennen gelernt, als sie am Stockholmer Stadttheater arbeiteten. Genau in diesen Tagen führte das Königliche Dramatische Theater Romeo und Julia in einer Kooperation mit dem Cirkus Cirkör auf, weshalb das Wohnzimmer abgesehen von den Schauspielern voller Jongleure, Feuerschlucker und Trapezartisten war. Ich würde nicht wortlos durch den Abend kommen, selbst wenn ich es gewollt hätte, so dass ich meinen Körper schwerfällig
von einer Gruppe zur nächsten bewegte und Höflichkeitsfloskeln wechselte, und, nachdem ich ein paar Gläser Gin Tonic getrunken hatte, auch ein paar Sätze sprach, die über das Notwendigste hinausgingen. Ich wollte vor allem mit den Theaterleuten reden. Dass ich so davon erfüllt sein würde, hätte ich niemals erwartet, und an diesem Abend äußerte sich das in einer riesigen Begeisterung für das Theater. Folglich stand ich mit zwei Schauspielern zusammen und sagte ihnen, wie fantastisch Bergman war. Sie schnaubten bloß und meinten: Der alte Drecksack! Das ist alles so verdammt traditionell, dass es zum Kotzen ist.
    Wie bescheuert konnte man eigentlich sein? Natürlich verabscheuten sie Bergman. Zum einen war er das gesamte Leben ihrer Eltern und ihres eigenen der große Meister gewesen. Zum anderen wirkten sie bei etwas Neuem, Großem mit, Shakespeare als Zirkus, das Stück, das alle sehen mussten, das mit seinen Fackeln und Trapezen, Stelzen und Clowns so erfrischend war. Sie hatten sich so weit von Bergman entfernt, wie es nur ging. Und dann steht ein dicklicher, offensichtlich depressiver Norweger vor ihnen und ist begeistert vom bahnbrechenden Bergman!
    Während ich feststellte, dass Linda und Geir immer noch auf der Couch saßen und sich unterhielten, beide eifrig und lächelnd, was meinem Herzen einen Stich versetzte, würde sie sich jetzt womöglich in noch einen meiner Freunde verlieben?, ging ich weiter umher, traf auf ein paar Jazzmenschen, die wissen wollten, ob ich mich mit norwegischem Jazz auskannte, wozu ich andeutungsweise nickte,

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