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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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neun, wenn die Sonne unterging und die Wand über dem Bett blutrot färbte, ging ich ins Bett. Ich las Die Jäger auf Karinhall von Carl-Henning Wijkmark, Geir hatte mir das Buch empfohlen, und so lag ich da und las im Licht der untergehenden Sonne und wurde jäh, völlig grundlos, von einem wüsten und Schwindel erregenden Glücksgefühl übermannt. Ich war frei, vollkommen frei, und das Leben war fantastisch. Dieses Gefühl überkam mich gelegentlich, vielleicht einmal in einem halben Jahr, es war intensiv und hielt einige Minuten an, dann war es vorüber. Seltsam war diesmal jedoch, dass es nicht vorbeiging. Ich erwachte bestens gelaunt, verdammt, so etwas hatte es seit meiner Kindheit nicht mehr gegeben. Ich saß auf der Terrasse und sang im bleichen Sonnenlicht, und wenn ich schrieb, scherte es mich nicht sonderlich, dass der Text schlecht war, es gab andere und bessere Dinge in der Welt, als Romane zu schreiben, und wenn ich lief, war mein Körper leicht wie eine Feder, während das Bewusstsein, das auf meinen Runden aufs Durchhalten und kaum etwas anderes ausgerichtet war, sich umschaute und die dichten, grünen Laubkronen, das blaue Wasser in den vielen Kanälen, das Menschengewimmel allerorten, die schönen und weniger schönen Gebäude genoss. Wenn ich heimkam und geduscht hatte, aß ich Suppe und Knäckebrot und ging anschließend in einen Park und las weiter in Wijkmarks Debütroman über einen norwegischen Marathonläufer, der sich während der Olympiade in Berlin
1936 in Görings Jagdschloss einschleicht, rief Espen oder Tore oder Eirik oder Mutter oder Yngve oder Tonje an, mit der ich nach wie vor zusammen war, etwas anderes war niemals ausgesprochen worden, ging früh zu Bett, stand mitten in der Nacht auf und aß Pflaumen oder Äpfel ohne mir dessen bewusst zu sein, bis ich aufwachte und die Kerne auf dem Boden neben dem Bett entdeckte. Anfang Mai fuhr ich nach Biskops-Arnö, da ich ein halbes Jahr zuvor zugesagt hatte, dort einen Vortrag zu halten, ich hatte Lemhagen angerufen, als ich nach Stockholm kam, und ihm mitgeteilt, dass ich absagen musste, da ich nichts hatte, worüber ich sprechen konnte, woraufhin er erwidert hatte, dass ich trotzdem kommen solle, um mir die anderen Beiträge anzuhören, eventuell an den Diskussionen teilzunehmen und am Abend ein oder zwei Texte zu lesen, falls ich etwas Neues haben sollte.
    Er erwartete mich vor dem Hauptgebäude und sagte augenblicklich, dass er niemals etwas Ähnliches erlebt hatte wie damals bei jenem Debütantenseminar, an dem ich teilgenommen hatte, nicht einmal ansatzweise. Ich wusste, was er meinte, die Stimmung war nicht nur in meinem Inneren speziell gewesen.
    Die Vorlesungen waren langweilig und die Diskussionsbeiträge uninteressant, vielleicht lag es aber auch nur daran, dass ich einfach zu gut gelaunt war, um interessiert zu sein. Zwei alte isländische Männer waren die einzigen, die etwas Originelles sagten, und so war es wenig verwunderlich, dass ihnen mit den schärfsten Gegenargumenten widersprochen wurde. Am Abend tranken wir, der Kriegsreporter Henrik Hovland war da und unterhielt uns mit Anekdoten aus dem Leben im Feld. So erzählte er unter anderem, dass der Kotgeruch nach einer gewissen Zahl von Tagen so stark und individuell wurde, dass man einander in der Dunkelheit am Geruch erkannte wie Tiere, was ihm keiner abnahm, aber alle zum
Lachen brachte, während ich die fantastische Szene aus einem von Arild Reins Büchern nacherzählte, in der die Hauptperson einen so großen Haufen legt, dass dieser sich nicht abspülen lässt, weshalb er ihn in die Jacketttasche seines Anzugs stopft und mit ihm hinausgeht.
    Am nächsten Tag kamen zwei Dänen, Jeppe und Lars, Jeppes Vortrag war gut, und man konnte mit den beiden hervorragend trinken. Sie begleiteten mich nach Stockholm, wir betranken uns, ich schickte Linda eine SMS, sie traf uns im Kvarnen, umarmte mich, als sie kam, wir lachten und redeten, aber plötzlich stürzte ich ab, denn Jeppe war charismatisch, überdurchschnittlich intelligent und hatte eine starke maskuline Ausstrahlung, und ich ahnte, dass Linda dafür durchaus empfänglich war. Vielleicht fing ich deshalb eine Diskussion mit ihr an. Ausgerechnet über Abtreibung wollte ich mit ihr sprechen. Es schien ihr nichts auszumachen, aber kurz darauf ging sie nach Hause, während wir weiterzogen und vor einem Nachtclub strandeten, in den Jeppe nicht hineingelassen wurde, was vermutlich mit seiner Plastiktüte, seinem verlebten

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