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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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stellte.
    »Das hast du wirklich schön angerichtet, Karl Ove«, meinte Linda.
    »Bitte sehr«, sagte ich, verteilte den restlichen Sekt und öffnete eine Flasche Weißwein, ehe ich mich hinsetzte und mir einen halben Hummer auf den Teller legte. Als Erstes knackte ich die große Schere mit der Hummerzange aus dem Hummerbesteck, das ich einmal von Gunnar und Tove geschenkt bekommen hatte. Das Fleisch, das so dick und wohlschmeckend um den kleinen flachen und weißen Knorpel oder was es war wuchs. Der Zwischenraum zwischen Fleisch und Panzer, in dem sich oft Wasser befand: Was für ein Gefühl mochte das sein, wenn er auf dem Meeresgrund lief?
    »Jetzt geht’s uns gut!«, sagte ich in einem norwegischen Dialekt und griff nach meinem Glas. »Prost!«
    Geir grinste. Die anderen überhörten, was sie nicht verstanden, und erhoben ihre Gläser.
    »Prost! Und vielen Dank für die Einladung!«, sagte Anders.
    Wenn wir Besuch bekamen, kochte meistens ich. Nicht so sehr, weil es mir Spaß machte, sondern eher, weil es mir ermöglichte, mich dahinter zu verstecken. Ich konnte in der
Küche stehen, wenn die Gäste kamen, kurz hereinschauen, sie begrüßen und dann im Verborgenen weitermachen, bis das Essen auf den Tisch gestellt werden sollte und ich gezwungen war, mich zu zeigen. Aber selbst dann konnte ich mich noch hinter etwas verstecken; das eine Glas der Gäste sollte mit Wein gefüllt werden, das andere mit Wasser, darum musste ich mich kümmern, und sobald der erste Gang verspeist war, räumte ich ab und servierte den nächsten.
    Auch an diesem Abend verhielt ich mich so. Sicher, Anders faszinierte mich, aber ich konnte nicht mit ihm reden. Ich mochte Helena, aber ich konnte nicht mit ihr reden. Mit Linda konnte ich reden, aber nun waren wir dafür verantwortlich, dass sich die anderen wohlfühlten und konnten uns selbstverständlich nicht einander zuwenden. Mit Geir konnte ich auch reden, aber wenn er mit anderen zusammen war, gewann eine andere Seite seiner Persönlichkeit die Oberhand; mit Anders sprach er über kriminelle Bekannte, sie lachten und machten immer weiter, Helena amüsierte er durch schockierende Ehrlichkeit, und sie reagierte mit einer Mischung aus Atemnot und Lachen. Untergründig existierten noch andere Spannungen. Linda und Geir waren wie zwei Magnete, sie stießen sich gegenseitig ab. Helena war niemals ganz zufrieden mit Anders, wenn sie ausgingen, er sagte nicht selten Dinge, die sie anders sah oder einfach dumm fand; diese Verstimmung nahm ich mir sofort zu Herzen. Christina sagte oft lange Zeit gar nichts, und auch das nahm ich mir zu Herzen, denn warum war das so, ging es ihr nicht gut, lag es an uns, an Geir, an ihr selbst?
    Es gab praktisch keine Ähnlichkeiten zwischen uns, Sympathien und Antipathien strömten unablässig unter der Oberfläche, also unter dem, was gesagt und getan wurde, aber trotzdem oder vielleicht sogar gerade deshalb wurde es ein denkwürdiger Abend, vor allem, weil wir plötzlich einen Punkt
erreichten, an dem wir das Gefühl hatten, dass keiner etwas zu verlieren hatte und alles Mögliche aus seinem Leben erzählen konnte, auch Dinge, die wir normalerweise für uns behielten.
    Aber es begann tastend, wie fast alle Gespräche zwischen Menschen, die mehr voneinander wissen, als dass sie einander kennen.
    Ich hob das glatte und kompakte Fleisch aus der Schale, zerteilte es in Stücke, stach die Gabel hinein und ließ sie durch die Mayonnaise wischen, bevor die Fahrt zum Mund begann.
    Draußen ertönte ein ohrenbetäubender Knall wie von einer Sprengung. Die Fensterscheiben klirrten.
    »Der Kracher entsprach definitiv nicht den Vorschriften«, meinte Anders.
    »Ja, wenn ich recht sehe, bist du ein Experte in diesen Dingen«, sagte Geir.
    »Wir haben einen chinesischen Ballon mitgebracht«, sagte Helena. »Man zündet eine Kerze an, und dann füllt die heiße Luft den Ballon, und er steigt in den Himmel. Höher und höher. Kein Knall oder so. Er schwebt ganz still hoch. Es ist fantastisch.«
    »Kann man den in der Stadt steigen lassen?«, sagte Linda. »Ich meine, was ist, wenn er brennend auf einem Dach landet?«
    »An Silvester geht alles«, sagte Anders.
    Es wurde still. Ich überlegte, ob ich von damals erzählen sollte, als ich an Neujahr die ganzen ausgebrannten Raketen eingesammelt und das Pulver aus ihnen geholt, es in eine Hülse gestopft und dann angezündet hatte. Ich sehe es noch heute vor mir: Geir Håkon, der sich mit rußschwarzem Gesicht zu mir umdrehte.

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