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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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ich es hasste, wider meine Natur zu handeln, um die ihre zu befriedigen. Aber, sagte ich mir, es gab eine Absicht, es gab ein Ziel, und solange dies über allem anderen stand, musste man sich nun einmal mit allem abfinden, was am Boden an Kriecherei vorging. Der Wagen traf nicht ein, das löste den nächsten Wutanfall aus. Wir kauften eine Vorrichtung, die wir in die Badewanne stellen würden, wenn das Kind gebadet werden sollte, wir kauften Bodys
und kleine Schuhe, Strampler und ein Federbett für den Kinderwagen. Eine Wiege konnten wir uns von Helena leihen, mit einer kleinen Decke und einem kleinen Kissen, die Linda mit feuchten Augen betrachtete. Außerdem diskutierten wir Namen. Fast jeden Abend sprachen wir darüber, warfen uns die verschiedensten Namen zu, hatten eine Liste von vier bis fünf in der engeren Wahl, die sich laufend veränderte. Eines Abends schlug Linda Vanja vor, das sollte der Name sein, wenn es ein Mädchen wurde. Plötzlich waren wir uns sicher. Das Russische daran gefiel uns ebenso wie das, was wir mit dem Namen verbanden, etwas Starkes und Wildes, außerdem leitete sich Vanja von Ivan ab, was im Norwegischen Johannes entsprach, also dem Namen meines Großvaters mütterlicherseits. Wurde es ein Junge, wollten wir ihn Björn nennen.
     
    Als ich eines Morgens zum U-Bahn-Gleis unter dem Sveavägen hinabstieg, wurde mein Blick magisch vom Anblick zweier Männer angezogen, die sich dort prügelten. Ihre Aggression wirkte mitten unter den vielen morgendlich müden Fahrgästen ungeheuerlich, sie schrien, nein, sie brüllten sich an, und mein Herz schlug schneller, dann krachten sie wüst gegeneinander, während neben ihnen ein Zug am Bahnsteig einfuhr. Der eine riss sich los, damit er genug Raum hatte, um den anderen zu treten. Ich ging näher heran. Sie stießen erneut zusammen. Ich dachte, dass ich eingreifen musste. Der Vorfall mit dem Boxer, als ich mich nicht getraut hatte, die Tür einzutreten, und der Vorfall bei dem Bootsausflug, als ich es nicht gewagt hatte, Arvid zu bitten, langsamer zu fahren, sowie meine Sorge wegen meines Mangels an Tatkraft, hatten mich so intensiv beschäftigt, dass sich in diesem Moment in meiner Seele kein Zweifel regte. Ich konnte hier nicht einfach herumstehen und zusehen. Ich musste eingreifen. Der bloße
Gedanke ließ meine Beine weich werden, die Arme zittern. Trotzdem setzte ich die Tasche ab, denn es war eine Prüfung, und ich dachte, da muss ich jetzt verdammt noch mal durch, und ging schnurstracks zu den beiden Streithähnen, schlug die Arme um den Nächststehenden und hielt ihn mit aller Kraft fest. Im selben Moment trat ein anderer Mann zwischen die beiden, und daraufhin kam ein dritter hinzu, und die Schlägerei war beendet. Ich griff nach meiner Tasche, stieg auf der anderen Seite des Bahnsteigs in den Zug und saß bis Åkeshov kraftlos da, während das Herz in meiner Brust pochte und pochte. Niemand konnte behaupten, dass ich handlungsunfähig gewesen war, allerdings auch nicht, dass ich mich besonders clever verhalten hatte, denn die beiden hätten Messer haben können, alles Mögliche, und was da geschehen war, ging mich doch im Grunde nichts an.
     
    Das Seltsame an diesen Monaten war, wie wir uns zugleich näherkamen und voneinander entfernten. Linda war nicht nachtragend, und wenn etwas passiert war, dann war es eben passiert und damit vorbei. Bei mir war das anders. Ich war nachtragend, und jede einzelne dieser Episoden, die sich im Laufe des letzten Jahres ereignet hatten, lag irgendwo in mir auf Abruf bereit. Gleichzeitig begriff ich, was da vorging, die Funken von Wut, die in unserem ersten Herbst zu fliegen begonnen hatten, hingen mit dem zusammen, was aus unserer Beziehung verschwunden war, Linda hatte Angst, auch noch den Rest zu verlieren und versuchte, mich an sich zu binden, und weil ich diese Bande so scheute, vergrößerte ich den Abstand, und genau das fürchtete sie. Als sie schwanger wurde, veränderte sich alles, denn von da an gab es einen Horizont jenseits dessen, was wir beide uns erschaffen hatten, etwas Größeres als uns, und das existierte die ganze Zeit in meinen und ihren Gedanken. Die Sorge mochte groß sein, aber selbst
mitten in ihr gab es in Linda doch immer etwas Heiles und Geborgenes. Es würde sich alles einrenken, es würde gut gehen, das wusste ich.
     
    Mitte Dezember kamen Yngve und die Kinder zu Besuch und brachten den lang ersehnten Kinderwagen mit. Sie blieben ein paar Tage. Linda war am ersten Tag und

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