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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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man muss sagen, auch Ibsen war eine Enttäuschung. Allerdings nicht wegen des Spiegels in seinem Zylinder. Das verdient unseren Respekt. Genau wie der lebende Skorpion auf seinem Schreibtisch. Bjørnson war keine Enttäuschung. Und Hamsun erst recht nicht. Man könnte die gesamte norwegische Literatur in diesem Stil einteilen. Dabei würdest du allerdings leider nicht besonders gut abschneiden.«
    »Nein«, sagte ich. »Dafür ist es bei uns jedenfalls sauber. So. Jetzt fehlt nur noch das Brot.«
    »Übrigens solltest du bald den Essay über Hauge schreiben, von dem du gesprochen hast.«
    »Der böse Mann in Hardanger?«, sagte ich und zog das Weißbrot aus der braunen Papiertüte.
    »Ja, genau.«
    »Irgendwann werde ich das tun«, sagte ich, spülte das Messer unter heißem Wasser ab und wischte es mit dem Küchenhandtuch trocken, ehe ich damit schnitt. »Ab und zu denke ich tatsächlich daran, dass er nackt im Kohlenkeller lag, nachdem er im Wohnzimmer alle Möbel in Stücke geschlagen hatte. Oder dass die Kinder im Dorf mit Steinen nach ihm warfen. Verdammt, es muss ein paar Jahre in seinem Leben gegeben haben, in denen er völlig weggetreten war.«
    »Nicht zu vergessen, dass er schrieb, Hitler sei ein großer Mann, nur um später aus dem Tagebuch zu entfernen, was er im Krieg geschrieben hatte«, sagte Geir.
    »Stimmt, nicht zu vergessen«, sagte ich. »Aber am Markantesten in seinem ganzen Tagebuch sind die Dinge, die er schreibt, wenn seine Krankheitsschübe einsetzen. Man kann nachlesen, wie alles anfängt und immer schneller und schneller geht, während gleichzeitig seine Hemmungen verschwinden. Plötzlich sitzt er da und schreibt, was er wirklich von den Leuten und dem, was sie schreiben, hält. Sonst achtet er sehr darauf, zu jedem gut zu sein. Höflich und fürsorglich und freundlich und nett. Und dann kommt der Zusammenbruch. Komisch, dass darüber noch niemand geschrieben hat? Ich meine, zum Beispiel die Art, wie er Jan Erik Vold bewertet, wie er radikal seine Meinung ändert?«
    »Ach, weißt du, das traut sich doch keiner zu schreiben«, sagte Geir. »Bist du verrückt? Die trauen sich doch höchstens, ein wenig in den Phasen herumzustochern, in denen er durchgedreht ist.«
    »Aber dafür gibt es natürlich auch einen Grund«, sagte ich, legte die Brotscheiben in den Korb und nahm mir den nächsten Laib vor.
    »Und der wäre?«
    »Anstand. Benimm. Rücksichtnahme.«
    »Oh, ich glaube, ich schlafe ein. Hier ist es auf einmal so langweilig.«
    »Jetzt mal im Ernst. Ich meine, was ich sage.«
    »Natürlich meinst du das. Aber hör mal: Es steht in dem Tagebuch, stimmt’s?«
    »Sicher.«
    »Und man kann Hauge nicht verstehen, ohne das zu verstehen?«
    »Richtig.«
    »Und du findest, dass Hauge ein großer Dichter ist?«
    »Ja.«
    »Und was schließt du daraus? Dass man aus Gründen des Anstands vor einem wesentlichen Teil des Lebens eines großen Dichters und Tagebuchschreibers die Augen verschließen soll? Das Unangenehme ausklammern soll?«
    »Was spielt es schon für eine Rolle, ob Hauge glaubte, dass er von Mächten aus dem Weltall verstrahlt wurde oder nicht? Für die Gedichte, meine ich. Außerdem, wer weiß schon, in welchem Verhältnis das Rohe und Direkte zum Höflichen und Durchdachten steht? Ich meine, was ist das wahre Niveau?«
    »Was? Hol’s der Kuckuck, was ist denn jetzt in dich gefahren? Du hast mir doch alles über Hauges exzentrischere Seiten erzählt und warst fasziniert von ihnen! Dass das Bild des weisen Manns in Hardanger nicht unwidersprochen bleiben darf, wenn man weiß, dass er während langer Phasen völlig verrückt und alles andere als weise war? Oder richtiger, dass die Weisheit, was immer das nun sein mag, nicht ohne sein elendes Leben verstanden werden kann.«
    »Kein Kuckuck ohne Feuer, wie die Chinesen sagen«, meinte ich. »Vielleicht hat es eine Rolle gespielt, dass wir eben
über Tor Ulven gelacht haben. Ich habe ein schlechtes Gewissen bekommen.«
    »Ha ha ha! Ist das wahr? So gefühlsduselig und vorsichtig kannst du nun wirklich nicht sein. Er ist immerhin tot. Und ein Partylöwe war er ja nun wirklich nicht, oder? Er war Kranführer, stimmt’s? Ha ha ha!«
    Nicht ohne Unbehagen lachend schnitt ich die letzten Scheiben auf.
    »Jetzt aber Schluss damit«, sagte ich und legte sie in den Korb. »Nimm den Korb mit Brot und die Butter und die Mayonnaise mit, dann gehen wir zu den anderen.«
    »Oh, wie herrlich!«, sagte Helena, als ich die Platte auf den Tisch

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