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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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zu.
    Linda stöhnte. Die Hebamme packte sie am Arm, und sie setzte sich auf. Ihr Blick war finster wie ein nächtlicher Wald.
    »Jetzt pressen«, sagte die Hebamme.
    Etwas Neues passierte, es hatte sich etwas verändert, ich begriff zwar nicht, was es war, trat aber hinter sie und begann von Neuem, ihren Rücken zu massieren. Die Wehe ging immer weiter, und Linda tastete nach der Maske mit Lachgas und inhalierte gierig, was jedoch nicht zu helfen schien, denn ein langgezogener Schrei wurde aus ihr geradezu herausgerissen, ging immer weiter und weiter.
    Dann ließ der Schmerz nach. Linda sackte zusammen. Die Hebamme wischte ihr den Schweiß aus der Stirn und sagte ihr, sie mache das ganz toll.
    »Möchten Sie das Kind fühlen«, sagte sie.
    Linda schaute zu ihr hoch, nickte langsam und richtete sich auf den Knien auf. Die Hebamme nahm ihre Hand und führte sie zwischen die Beine.
    »Das ist der Kopf«, sagte sie. »Spüren Sie ihn?«
    »JA!«, sagte Linda.
    »Halten Sie die Hand dorthin, wenn Sie pressen. Können Sie das?«
    »JA!«, sagte Linda.
    Die Praktikantin holte einen Hocker, der die ganze Zeit schon an der Wand gestanden hatte.
    Linda ging auf die Knie. Ich trat hinter sie, obwohl ich ahnte, dass die Massage keinen Unterschied mehr machte.
    Sie schrie aus vollem Hals, ihr ganzer Körper bewegte sich, gleichzeitig lag ihre Hand auf dem Kopf des Kindes.
    »Der Kopf ist draußen«, sagte die Hebamme. »Noch einmal. Pressen.«
    »Ist der Kopf draußen!«, sagte Linda. »Haben Sie das gesagt?«
    »Ja. Pressen.«
    Ein neuer Schrei, jenseits von allem, entwich ihr.
    »Möchten Sie es in Empfang nehmen?«, sagte die Hebamme und sah mich an.
    »Ja«, sagte ich.
    »Kommen Sie, stellen Sie sich hierher«, sagte sie.
    Ich ging um den Schemel herum, stellte mich vor Linda, die mich ansah, ohne mich zu sehen.
    »Noch einmal. Pressen, mein Mädchen. Pressen.«
    Meine Augen waren voller Tränen.
    Das Kind glitt aus ihr heraus wie eine kleine Robbe und direkt in meine Hände.
    »Ooooo!«, rief ich. »Ooooo!«
    Glatt und warm war der kleine Körper und entglitt fast meinen Händen, aber dann war die junge Praktikantin da und half mir.
    »Ist es draußen? Ist es draußen?«, sagte Linda, ja, sagte ich, hob den kleinen Körper zu ihr hoch, und sie legte ihn an ihre Brust, und ich schluchzte vor Freude, und Linda sah mich zum ersten Mal seit Stunden an und lächelte.
    »Was ist es?«, sagte ich.
    »Es ist ein Mädchen, Karl Ove«, sagte sie. »Es ist ein Mädchen.«
    Es hatte lange, schwarze Haare, die am Kopf klebten. Die Haut war gräulich und wächsern. Sie schrie, nie zuvor hatte ich einen solchen Laut gehört, das war meine Tochter, die so klang, und ich war in der Mitte der Welt, wo ich nie zuvor gewesen war, aber jetzt war ich dort, waren wir dort, in der Mitte der Welt. Um uns war alles still, um uns war alles dunkel, aber wo wir waren, die Hebamme, die Praktikantin, Linda, ich und das kleine Kind, dort war es hell.
    Sie halfen Linda zum Bett, sie legte sich auf den Rücken, und das Mädchen, mit bereits rötlicherer Haut, hob den Kopf und sah uns an.
    Seine Augen waren wie zwei schwarze Laternen.
    »Hallo…«, sagte Linda. »Willkommen bei uns …«
    Das Kind hob einen Arm und ließ ihn wieder fallen. Es war die Bewegung eines Kriechtiers, eines Krokodils, eines Warans. Dann den anderen, hoch, etwas seitlich, runter.
    Die schwarzen Augen sahen Linda unverwandt an.
    »Ja«, sagte Linda. »Ich bin deine Mama. Und da steht dein Papa! Siehst du?«
    Die beiden Frauen begannen, um uns herum aufzuräumen, während wir immer weiter dieses Geschöpf ansahen, das plötzlich da war. Linda hatte Blut auf Bauch und Beinen, auch das Mädchen war mit Blut bedeckt, und von beiden ging ein beißender, fast metallischer Geruch aus, der jedes Mal, wenn ich ihn einatmete, aufs Neue ungewohnt war.
    Linda legte das Mädchen an die Brust, aber es war nicht interessiert, es genügte ihm, uns anzusehen. Die Hebamme kam mit einem Tablett mit Essen, einem Glas Apfelcider und einer kleinen schwedischen Flagge herein. Sie nahm das Kind und maß und wog es, während wir aßen, und es schrie, beruhigte sich aber wieder, als es an Lindas Brust kam. Wie Linda sich ihr öffnete, die vollkommene Fürsorge in ihren Bewegungen, hatte ich nie zuvor gesehen.
    »Ist das Vanja?«, sagte ich.
    Linda sah mich an.
    »Ja, natürlich, siehst du das nicht?«
    »Hallo, kleine Vanja«, sagte ich. Sah Linda an. »Sie sieht aus wie jemand, den wir im Wald gefunden

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