Lieben: Roman (German Edition)
schreiben. Und das war die Wahrheit. Wenn sie wollte, musste sie mich eben verlassen. Sie sagte, ich tue es. Du siehst mich nie wieder. Ich sagte, in Ordnung. Ich schrieb zwanzig Seiten am Tag. Sah weder Buchstaben noch Worte, weder Sätze noch Form, nur Landschaften und Menschen, und Linda rief an und schrie und sagte, ich sei ein sugar daddy, sagte, ich sei ein
Schwein, sagte, ich sei ein gefühlloses Monster, sagte, ich sei der schlimmste Mensch der Welt, und dass sie den Tag verfluche, an dem sie mir begegnet sei. Ich sagte, in Ordnung, dann verlass mich, es ist mir egal, und ich meinte es, es interessierte mich nicht, niemand würde sich meinem Schreiben in den Weg stellen, sie legte auf, zehn Minuten später rief sie wieder an und verfluchte mich weiter, ich war jetzt allein, sie würde Vanja alleine großziehen, einverstanden, sagte ich, sie weinte, sie bettelte und bat, denn was ich ihr antat, war das Schlimmste, was man tun konnte, sie alleine zu lassen. Aber es war mir egal, ich schrieb Tag und Nacht, und dann rief sie plötzlich an und meinte, sie werde am nächsten Tag nach Hause kommen, ob ich Lust habe, zum Bahnhof zu kommen und sie abzuholen?
Ja, das hatte ich.
Auf dem Bahnhof kam sie mir mit einer schlafenden Vanja im Wagen entgegen, begrüßte mich ruhig und wollte wissen, wie es lief, ich sagte gut, sie sagte, das Ganze tue ihr leid. Zwei Wochen später rief ich an und sagte, der Roman sei fertig, wundersamerweise exakt an dem Datum, das der Verlag mir als Abgabetermin gesetzt hatte, 1. August, und als ich nach Hause kam, stand sie mit einem Glas Prosecco für mich im Flur, während meine Lieblingsplatte im Wohnzimmer lief und mein Leibgericht auf dem Tisch stand. Ich war fertig, der Roman war geschrieben, doch mit dem, was ich erlebt hatte, will sagen, mit dem Ort, an dem ich mich gefühlt aufgehalten hatte, war ich noch nicht fertig. Wir fuhren nach Oslo, und ich ging auf die Pressekonferenz des Verlags und wurde beim anschließenden Essen so betrunken, dass ich mich den ganzen nächsten Vormittag im Hotelzimmer übergeben musste und es nur mit Mühe und Not schaffte, mich zum Flughafen zu schleppen, wo eine Verspätung bei Linda das Fass zum Überlaufen brachte, so dass sie das Schalterpersonal beschimpfte
und ich den Kopf in den Händen verbarg: Waren wir jetzt wieder an dem Punkt angelangt? Der Flug ging nach Bringelandsåsen, wo uns Mutter erwartete, und die ganze nächste Woche machten wir lange Spaziergänge unter den schönen Bergen, und alles war gut, alles war, wie es sein sollte, aber trotzdem nicht gut genug, denn ich sehnte mich unablässig dorthin zurück, wo ich gewesen war, es schmerzte in mir. Das Manische, das Einsame, das Glückliche.
Als wir nach Hause kamen, begann Linda ihr zweites Jahr an der Hochschule, während ich mich um Vanja kümmern sollte. Morgens wurde sie mit Milch abgefüllt, mittags ging ich zur Hochschule, wo sie erneut abgefüllt wurde, und nachmittags radelte Linda so früh es eben ging nach Hause. Ich konnte mich nicht beklagen, alles lief gut, das Buch bekam gute Kritiken, die Rechte wurden an ausländische Verlage verkauft, und während dies geschah, schob ich einen Kinderwagen durch die schöne Stadt Stockholm, in dem eine Tochter lag, die ich über alles liebte, während meine Liebste in der Hochschule hockte und vor Sehnsucht nach uns ganz krank war.
Der Herbst ging in den Winter über, das Leben mit Kinderbrei und Kinderkleidung, Kindertränen und Kindererbrochenem, sinnlos vorüberziehenden Vormittagen und leeren Nachmittagen belastete mich auf die Dauer, aber ich konnte nicht klagen, konnte nichts sagen, nur den Mund halten und tun, was ich tun musste. In unserem Mietshaus gingen die kleinen Schikanen weiter, denn was an Silvester vorgefallen war, hatte das Verhältnis der Russin zu uns nicht verändert. Der Gedanke, dass sie sich nicht mehr so ins Zeug legen würde, um uns zu quälen, erwies sich als naiv, denn das Gegenteil war der Fall, die Frequenz erhöhte sich. Schalteten wir morgens das Radio im Schlafzimmer ein, ließ ich versehentlich ein Buch zu Boden fallen, schlug ich einen Nagel in die
Wand, hämmerte sie im nächsten Moment gegen die Rohre. Als ich eine IKEA-Tüte mit sauberen Kleidern in der gemeinsamen Waschküche vergaß, hatte jemand sie unter den Ausguss gestellt und danach das Abflussrohr gelockert, so dass alles Wasser, was durch die undichte Stelle lief, vor allem schmutziges Waschwasser, direkt in der Tüte landete. An einem
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