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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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dich«, sagte ich zu Linda.
    Sie sah auf den Tisch.
    »Sollen wir mal auf den Balkon gehen?«, sagte sie. »Dann kannst du eine rauchen.«
    Es war kein Balkon, sondern eine Dachterrasse, von der aus man in einer Passage zwischen zwei anderen Dächern auf den Stadtteil Östermalm hinausschauen konnte. Eine Dachterrasse direkt am Stureplan; wie viele Millionen Kronen war diese Wohnung wohl wert? Sicher, sie war dunkel und verraucht, aber das würde sich problemlos ändern lassen.
    »Gehört die Wohnung deinem Vater?«, sagte ich und zündete mir, die Flamme des Feuerzeugs mit der Hand abschirmend, eine Zigarette an.
    Sie nickte.
    An keinem Ort, an dem ich früher gewohnt hatte, bedeuteten die richtigen Adressen und hübschen Wohnungen so viel wie in Stockholm. Irgendwie konzentrierte sich alles darauf. Wohnte man außerhalb, gehörte man nicht richtig dazu. Die Frage, wo man wohnte, der man sich ständig stellen musste, hatte deshalb eine ganz andere Bedeutung, als es beispielsweise in Bergen der Fall gewesen war.
    Ich ging zum Rand, um hinunterzuschauen. Auf dem Bürgersteig lagen vom Winter immer noch kleine Schneehaufen und Eiswulste, vom Tauwetter fast vollständig abgeschliffen und grau von Sand und Abgasen. Auch der Himmel über uns war grau, gefüllt mit kaltem Regen, der sich regelmäßig auf die Stadt ergoss. Grau, aber mit einem anderen Licht in sich,
als es der graue Winterhimmel verströmt hatte, denn es war März, und das Märzlicht war so klar und stark, dass es selbst an einem so verhangenen Tag wie diesem durch die Wolkendecke drang und quasi alle Tore der Dunkelheit öffnete. Es schimmerte auf den Wänden vor mir und im Asphalt auf der Straße unter mir. Die Autos, die dort parkten, leuchteten in ihren Farben. Rot, blau, dunkelgrün, weiß.
    »Umarme mich«, sagte sie.
    Ich drückte die Zigarette im Aschenbecher auf dem Tisch aus und legte die Arme um sie.
    Als wir einen Augenblick später hineinkamen, war das Wohnzimmer noch immer leer, und wir gingen zu ihm in die Küche. Er stand am Herd und leerte den kompletten Inhalt einer Konservendose mit Champignons in die Bratpfanne. Die Flüssigkeit zischte in der heißen Pfanne. Dann fügte er eine kleingehackte Zucchini hinzu. Daneben kochte ein Topf mit Spaghetti.
    »Das sieht aber gut aus«, sagte ich.
    »Ja, das schmeckt gut«, erwiderte er.
    Auf der Arbeitsfläche standen ein Glas mit Krabben in Lake und ein Becher Sahne. »Normalerweise esse ich immer unten im Vikingen. Aber Freitag, Samstag und Sonntag esse ich hier. Dann koche ich für Berit.«
    Berit, das war seine Freundin.
    »Können wir dir helfen?«, sagte Linda.
    »Nein«, antwortete er. »Setzt euch, ich komme dann mit dem Essen, wenn es fertig ist.«
    Das Essen schmeckte wie etwas, das ich vielleicht gekocht hätte, als ich Student war und in meinem ersten Jahr in Bergen alleine in meiner Bude in der Absalon Beyers gate aß. Lindas Vater erzählte mehr von der Zeit, als er im Norden Torwart der Fußballmannschaft gewesen war. Dann sprach er darüber, was früher seine Arbeit gewesen war, unterschiedliche
Lagerhallen zu planen und zu entwerfen. Danach sprach er über das Pferd, das er einmal besessen hatte und das sich verletzte, als es gerade Aussichten hatte, die ersten Siege einzufahren. All das berichtete er sehr genau und umständlich, als wäre jedes Details von äußerster Wichtigkeit. Während des Gesprächs holte er irgendwann Stift und Papier, um uns zu zeigen, wie er die genaue Zahl der Tage ermittelte hatte, die er noch leben würde. Daraufhin suchte ich Lindas Blick, aber sie wich mir aus. Wir hatten im Voraus abgesprochen, dass es ein Kurzbesuch bleiben sollte, so dass wir uns nach dem Nachtisch, der aus einer Zweiliterpackung Eis bestand, die er einfach auf den Tisch stellte, erhoben und erklärten, wir müssten leider schon gehen, Vanja müsse nach Hause und gefüttert und gewickelt werden, worüber er jedoch froh zu sein schien. Der Besuch hatte für seine Verhältnisse wahrscheinlich bereits extrem lange gedauert. Ich ging in den Flur und zog Mantel und Schuhe an, während Linda und er ein paar Worte unter vier Augen wechselten. Er sagte, sie sei sein Mädchen und so groß geworden. Komm, setz dich ein bisschen auf meinen Schoß. Ich band den zweiten Schuh zu und richtete mich auf, ging zur Türöffnung und schaute ins Wohnzimmer. Linda saß auf seinem Schoß, er hatte die Arme um ihre Taille gelegt und sagte etwas, was ich nicht verstand. Der Anblick hatte etwas Groteskes,

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