Lieben: Roman (German Edition)
es, bis sie durchschlief. Man hätte es in einer schaffen können. Denn ein paar Tränen schadeten ihr doch nicht, oder? Auf dem Spielplatz war es das Gleiche. Ich versuchte, sie so weit zu bringen, sich selbst zu beschäftigen, damit ich auf einer Bank sitzen und lesen konnte, aber das kam nicht in Frage, ein paar Sekunden für sich allein, und schon richtete sich ihr Blick auf mich, und sie streckte flehend die Hände aus.
Linda legte auf und kam mit Vanja auf dem Arm herein.
»Wollen wir spazieren gehen?«, sagte sie.
»Etwas anderes können wir ja wohl kaum tun«, sagte ich.
»Was meinst du damit?«, sagte sie wachsam.
»Nichts«, erwiderte ich. »Wohin sollen wir gehen?«
»Nach Skeppsholmen vielleicht?«
»Also schön.«
Da ich mich unter der Woche um Vanja kümmerte, nahm sich nun Linda ihrer an. Auf Lindas Schoß sitzend wurde ihr ein kleiner, roter Strickpullover angezogen, den wir von Yngves Kindern übernommen hatten, eine braune Kordhose, der rote Overall, den Lindas Mutter uns gekauft hatte, die rote Mütze mit dem Riemen unter dem Kinn und der weißen Krempe, und ein Paar weiße Wollhandschuhe. Bis vor einem Monat saß sie immer still, wenn wir sie umzogen, aber in letzter Zeit war sie dazu übergegangen, sich in unserem Griff zu winden und zu drehen. Besonders schwierig war es, wenn man ihr eine neue Windel machen wollte, denn dann konnte der Kot wirklich überall landen, wenn sie sich ständig wand, und mehr als einmal hatte ich daraufhin meine Stimme erhoben. LIEG STILL! Oder JETZT LIEG DOCH STILL, VERDAMMT!, und hatte sie härter angefasst als nötig. Sie selbst fand es lustig zu versuchen, sich frei zu machen, sie lächelte oder lachte immer, wenn es so weit war, so dass sie die laute und gereizte Stimme anfangs nicht begriff. Manchmal überhörte sie meine Worte einfach oder starrte mich erstaunt an, was war denn jetzt los? Oder sie fing an zu weinen. Erst ging die Unterlippe hoch und begann zu zittern, dann schossen die Tränen heraus. Was zum Teufel mache ich hier?, dachte ich daraufhin, war ich jetzt etwa völlig verrückt geworden? Sie war ein Jahr alt, so unschuldig, wie ein unschuldiges Wesen nur sein konnte, und dann stand ich vor ihr und schrie sie an?
Zum Glück war es leicht, sie zu trösten, leicht, sie zum Lachen
zu bringen, und zum Glück vergaß sie auch schnell. So gesehen war es für mich schlimmer.
Linda hatte mehr Geduld, und nach fünf Minuten saß Vanja fertig angezogen mit einem erwartungsvollen Lächeln um den Mund auf ihrem Arm. Im Aufzug versuchte sie, auf die Knöpfe zu drücken. Linda zeigte auf den richtigen und führte ihre Hand dorthin. Der Knopf leuchtete auf, der Aufzug setzte sich in Bewegung. Während Linda mit ihr in den Fahrradkeller ging, wo der Wagen stand, zündete ich mir draußen eine Zigarette an. Es war immer noch windig, und der Himmel hing schwer und grau. Die Temperatur lag bei null bis minus ein Grad.
Wir gingen die Regeringsgatan hinunter, in den Kungsträdgården, am Nationalmuseum vorbei, wandten uns auf der Insel Skeppsholmen nach links und gingen an den Anlegern entlang, wo zahlreiche Hausboote lagen. Einige von ihnen stammten von der Jahrhundertwende und hatten in den riesigen Schärengebieten vor den Toren der Stadt im Linienverkehr ihre Arbeit getan. Eine Art kleine Holzbootwerft lag ebenfalls dort, jedenfalls sah es ganz danach aus, denn Kiel und Spanten lagen wie ein Skelett in einem lagerähnlichen Holzgebäude. Vereinzelt tauchten die Gesichter bärtiger Männer auf, als wir vorbeigingen, ansonsten war das Gelände menschenleer. Auf einer kleinen Anhöhe lag das Moderna Museet, in dem Vanja angesichts ihrer kurzen Lebensspanne eine unverhältnismäßig große Zahl von Tagen verbracht hatte. Aber der Eintritt war kostenlos, das Restaurant gut und kinderfreundlich, es gab dort ein paar Spielplätze, und manche Kunstwerke waren es immer wert, betrachtet zu werden.
Das Wasser im Hafenbecken war vollkommen schwarz. Tief am Himmel hing eine dichte Wolkendecke. Die dünne Schneeschicht auf der Erde machte alles irgendwie härter und nackter, vielleicht, weil sie das Wenige, was es an Farben in
dieser Landschaft gab, beseitigte. Alle Museen hier draußen waren einmal Militärgebäude gewesen, und das prägte sie, verschlossen und flach erstreckten sie sich entlang der kleinen, kaum befahrenen Wege oder standen am Ende dessen, was einmal Exerzierplätze gewesen sein mussten.
»Das war schön gestern«, sagte Linda und legte den Arm um
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