Lieben: Roman (German Edition)
man in Stockholm mit einem »Bitte?«, sie legte alles in eine Tüte und tippte die Beträge in die Kasse ein. Mit der weißen Tüte in der Hand eilte ich zu unserer Wohnung zurück, putzte den Schnee unter den Füßen an der Matte im Flur ab, hörte beim Öffnen
der Tür sofort, dass sie aufgestanden waren und inzwischen in der Küche saßen und frühstückten.
Vanja fuchtelte mit ihrem Löffel herum und lächelte mich an, als ich den Raum betrat. Ihr komplettes Gesicht war mit Brei bedeckt. Die Zeiten lagen lange zurück, in denen sie es akzeptiert hatte, von uns gefüttert zu werden. Ich reagierte instinktiv, wollte das Geschmiere weg haben, auch aus ihrem Gesicht, denn es gefiel mir nicht, dass sie klebte. Das lag mir im Blut. Linda hatte von Anfang an gegen meine Reaktion protestiert, beim Essen sei es wichtig, dass es keine Regeln oder Restriktionen gab, das sei heikel, Vanja müsse tun dürfen, was sie wolle. Sie hatte ja Recht, das verstand ich natürlich, und rein theoretisch wusste ich das Gierige und Gesunde und Freie an ihr zu schätzen, wenn sie schmatzte und kleckerte, aber in der Praxis regte sich in mir der Impuls, berichtigend einzugreifen. Das war mein Vater in mir. In meiner Kindheit tolerierte er nicht einmal einen Brotkrümel neben dem Teller. Aber das wusste ich doch, dem war ich selber ausgeliefert gewesen und hatte es mit jeder Faser meines Körpers gehasst, warum wollte dieser es dann auf Gedeih und Verderb weitergeben?
Ich schnitt ein paar Scheiben Brot ab, legte sie mit den Brötchen in einen Korb, füllte den Wasserkocher und setzte mich, um mit den beiden zu frühstücken. Die Butter war ein wenig hart, so dass die Brotscheibe aufriss, als ich versuchte, sie mit dem Messer zu verstreichen. Vanja starrte mich an. Schnell drehte ich den Kopf und sah sie an. Sie schreckte in ihrem Stühlchen zusammen, begann dann jedoch zum Glück zu lachen. Ich machte es noch einmal, blickte lange vor mir auf den Tisch, bis sie die Hoffnung schon aufgab, dass etwas passieren würde, und auf dem Weg in einen anderen Gemütszustand war, als ich blitzschnell ihrem Blick begegnete. Sie riss die Augen auf und hüpfte in ihrem Stuhl auf und ab, bevor sie erneut lachte. Linda und ich lachten auch.
»Wie lustig unsere Vanja ist«, sagte Linda. »Du bist so lustig, du! Mein kleines Häschen!«
Sie lehnte sich zu ihr vor und rieb ihre Nase an Vanjas. Ich schnappte mir den Kulturteil der Zeitung, der vor Linda aufgeschlagen auf dem Tisch lag, biss ein Stück Brot ab und kaute es, während ich die Schlagzeilen überflog. Auf der Arbeitsfläche hinter mir schaltete sich der Wasserkocher aus, als das Wasser kochte. Ich stand auf, legte einen Teebeutel in eine Tasse und goss das dampfende Wasser darüber, ging zum Kühlschrank und holte die Milch heraus, bevor ich mich wieder hinsetzte. Ich ließ den Teebeutel mehrmals auf und ab hüpfen, bis der braune schlierende Stoff, der sich langsam aus ihm löste, das ganze Wasser verfärbt hatte. Gab einen Spritzer Milch dazu und blätterte die Zeitung um.
»Hast du gesehen, was hier über Arne steht?«, sagte ich und sah Linda an.
Sie nickte und lächelte schwach, jedoch Vanja zugewandt, nicht mir.
»Der Verlag zieht das Buch zurück. Was für eine Niederlage.«
»Ja«, sagte sie. »Der arme Arne. Aber er ist selber schuld.«
»Meinst du, er wusste, dass es gelogen war?«
»Nein, bestimmt nicht. Ich bin mir sicher, dass er das nicht mit Absicht gemacht hat. Er muss wirklich geglaubt haben, dass es so gewesen ist.«
»Der arme Teufel«, sagte ich, hob die Tasse an und nippte an dem schlammfarbenen Tee.
Arne war ein Nachbar von Lindas Mutter draußen in Gnesta. Er hatte ein Buch über Astrid Lindgren geschrieben, das im Herbst erschienen war und lose auf Gesprächen basierte, die er mit ihr in der Zeit vor ihrem Tod geführt hatte. Arne war ein religiöser Mensch, er glaubte an Gott, wenn auch nicht in einem konventionellen Sinne, und es kam sicher für
viele überraschend, dass auch Astrid Lindgren eine Anhängerin dieses unkonventionellen Gottesglaubens gewesen sein sollte. Die Zeitungen begannen, sich für die Sache zu interessieren. Bei den Gesprächen war sonst niemand anwesend gewesen, und obwohl Astrid Lindgren solche Ansichten niemals anderen gegenüber geäußert hatte, ließ sich deshalb nicht beweisen, dass sie erfunden waren. Aber es standen andere Dinge in der Presse, unter anderem über Arnes Lektüre von Lindgrens Büchern, die sich als widersprüchlich
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