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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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mich.
    »Ja«, sagte ich. »Das war es. Aber möchtest du jetzt wirklich noch ein Kind bekommen?«
    »Ja, das will ich. Aber die Chance ist natürlich eher klein.«
    »Ich bin mir sicher, dass du schwanger bist«, sagte ich.
    »So sicher, wie du dir warst, dass Vanja ein Junge werden würde?«
    »Ha ha.«
    »Ich freue mich total«, sagte sie. »Stell dir vor, es ist so! Stell dir vor, wir bekommen noch ein Kind!«
    »Ja…«, meinte ich. »Was sagst du dazu, Vanja? Möchtest du ein kleines Schwesterchen oder Brüderchen haben?«
    Sie schaute zu uns hoch. Dann drehte sie den Kopf zur Seite und hob die Hand zu drei Möwen hin, die mit eng angelegten Flügeln in den Wellen schaukelten.
    »Deh!«, sagte sie.
    »Ja, da«, sagte ich. »Drei Möwen!«
    Nur ein Kind zu haben, erschien mir völlig ausgeschlossen, zwei waren zu eng und zu sehr aneinandergekettet, drei, hatte ich mir überlegt, waren dagegen perfekt. Dann waren die Kinder den Eltern gegenüber in der Überzahl, dann gab es zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten unter ihnen, dann waren wir eine Bande. Sorgsam den passenden Zeitpunkt zu planen, was unser eigenes Leben und die günstigsten Altersunterschiede betraf, dafür hatte ich nichts als Verachtung übrig, immerhin betrieben wir keine Firma. Ich wollte Zufälle bestimmen lassen, alles kommen lassen, wie es kam, und mich
nach und nach den Konsequenzen stellen. War das nicht das Leben? Wenn ich also mit Vanja durch die Straßen ging, wenn ich sie fütterte und wickelte, während diese unbändige Sehnsucht nach einem anderen Leben in meiner Brust pochte, war dies die Konsequenz einer Wahl, mit der ich leben musste . Es führte kein Weg daran vorbei, nur diesen alten und ausgetretenen: ertragen. Dass ich für meine Nächsten das Dasein trübte, während ich dies tat, tja, das erschien mir nur als eine weitere Konsequenz, die ebenfalls ertragen werden musste. Bekamen wir noch ein Kind, und das würden wir, ganz gleich, ob Linda nun schwanger geworden war oder nicht, und dann noch eins, was ebenso unvermeidlich war, würde das doch sicher über die Pflicht, über die Sehnsucht hinaus wachsen und zu etwas eigenem Wilden und Freien werden. Aber wenn nicht, was tat ich dann?
    Da sein und tun, was ich tun musste. In meinem Leben war dies das Einzige, woran ich mich halten musste, mein einziger fester Punkt, aber der war dafür in Stein gemeißelt.
    War er das?
    Vor ein paar Wochen hatte Jeppe mich angerufen, er war in der Stadt, ob wir ein Bier trinken gehen wollten? Ich schätzte ihn sehr, hatte mich aber nie mit ihm unterhalten können, wie es bei so vielen der Fall war, aber ein bisschen kamen wir dann doch in Schwung, nachdem ich mir eine Weile möglichst schnell ein Bier nach dem anderen hinter die Binde gekippt hatte. Ich erzählte ihm, wie mein Leben im Moment aussah. Er sah mich an und sagte mit der für ihn so typischen, selbstverständlichen Autorität: Aber du musst doch schreiben , Karl Ove!
    Und wenn es hart auf hart kam, wenn man mir ein Messer an die Kehle setzte, kam dies zuerst.
    Aber warum?
    Kinder waren doch das Leben, und wer will sich schon vom Leben abwenden?
    Und schreiben, was war das denn anderes als der Tod? Die Buchstaben, was waren sie anderes als Gebeine auf einem Friedhof?
    Um die Landzunge am Ende der Insel glitt die Djurgårds-Fähre. Auf der anderen Seite des Wassers lag Gröna lund, der große Vergnügungspark, alle Attraktionen still und leer, manche von Planen bedeckt. Zweihundert Meter weiter links stand das Gebäude, das die Wasa beherbergte.
    »Sollen wir die Fähre nehmen?«, sagte Linda. »Dann könnten wir im Blå Porten zu Mittag essen.«
    »Wir haben doch gerade erst gefrühstückt«, sagte ich.
    »Na, dann auf einen Kaffee.«
    »Ja, okay. Hast du Bargeld?«
    Sie nickte, und wir blieben stehen, um am Fähranleger zu warten. Wenige Sekunden später protestierte Vanja. Linda holte eine Banane aus der Tasche und reichte sie ihr. Zufrieden lehnte sie sich daraufhin im Wagen zurück und starrte aufs Wasser, während sie sich das Bananenstück in den Mund stopfte. Mir fiel das allererste Mal ein, bei dem ich mit ihr alleine unterwegs gewesen war, denn damals waren wir hier gegangen. Sie war eine Woche alt gewesen. Mit dem Wagen vor mir war ich regelrecht um die Insel herum gerannt und hatte die ganze Zeit befürchtet, sie könnte aufwachen und schreien. Zu Hause hatten wir die Lage unter Kontrolle, sie bestand aus stillen, schlafen, Windeln wechseln in einem einschläfernden, aber

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