Lieben: Roman (German Edition)
abgewiesen!«
»Liebe, Karl Ove, steht über dem Gefühl, abgewiesen zu werden.«
»Oh, mein Gott«, sagte ich.
Dann wurde es still.
»Gestern, zum Beispiel«, sagte Linda schließlich. »Sie saß die ganze Zeit mit uns zusammen, bis wir ins Bett gegangen sind.«
»Ja, und?«
»Hätte Mutter das getan?«
»Nein, wenn sie glaubt, dass du es so haben willst, geht sie um acht ins Bett. Und sie tut alles, wenn wir bei ihr sind, das ist richtig. Aber das ist doch verdammt nochmal kein Naturgesetz, oder? Ich habe meiner Mutter bei Kleinigkeiten geholfen, seit ich von zu Hause ausgezogen bin. Das Haus gestrichen, das Gras gemäht und geputzt. Soll das jetzt etwa auch verkehrt sein? Hilfsbereit zu sein, ist das jetzt auch schon verkehrt? Was? Und diesmal helfen wir nicht einmal ihr, sondern uns selbst! Immerhin ist es unsere Taufe. Kapierst du das nicht?«
»Du begreifst nicht, worum es hier geht«, sagte Linda. »Wir sind nicht hergekommen, damit du arbeiten musst und ich mit Vanja allein herumlaufe. Das hätten wir auch zu Hause haben können. Außerdem ist deine Mutter nicht so unschuldig, wie du immer denkst, das hat sie sich so ausgedacht.«
Oh, verdammte Scheiße nochmal, dachte ich, als wir schweigend den Weg hinabgingen, nachdem das letzte Wort gefallen war. Oh, was für eine verkackte, bescheuerte, gequirlte
Scheiße das war. Wie zum Teufel konnte ich nur in einen solchen Schlamassel geraten?
Am blauen und klaren Himmel über uns brannte die Sonne. Die Talhänge erhoben sich jäh zu beiden Seiten des Flusses, der voller Schmelzwasser rauschend zum See Jølstravannet floss, der spiegelblank und still zwischen den Bergen lag, und auf einem von ihnen glitzerte ein Arm des Jostedalsgletschers. Die Luft war sauber und klar, die Wiesen über und unter uns grün und voller bimmelnder Schafe, die höchsten Bergregionen bläulich, an manchen Stellen von großen Flecken weißen Schnees bedeckt. Es war so schön, dass es wehtat. Und hier gingen wir mit der schlafenden Vanja im Kinderwagen und stritten uns darüber, dass ich ein paar Tage darauf verwenden musste, das Haus meiner Mutter auf Vordermann zu bringen.
Lindas übertriebene Reaktionen kannten kein Maß. Nie wurde ein Punkt erreicht, an dem sie dachte, nein, jetzt bin ich wohl zu weit gegangen.
Woran dachte sie?
Oh, ich wusste es natürlich. Wenn ich ins Büro ging, war sie tagsüber bis zu meiner Rückkehr mit Vanja allein, fühlte sich einsam und hatte sich wahnsinnig auf diese zwei Wochen gefreut. Ein paar ruhige Tage mit ihrer kleinen Familie, darauf hatte sie sich gefreut. Ich dagegen freute mich nie auf etwas anderes als den Augenblick, in dem sich die Tür meines Büros hinter mir schloss und ich allein war, um schreiben zu können. Vor allem jetzt, da ich nach sechsjährigem Scheitern endlich etwas erreicht hatte und spürte, dass es damit nicht endete, dass da noch mehr war. Danach sehnte ich mich, das beschäftigte mein Denken, und nicht Linda und Vanja und die Kindstaufe in Jølster, das alles nahm ich, wie es kam. Lief es gut, nun, dann lief es gut. Lief es nicht gut, nun, dann lief es eben nicht gut. Der Unterschied spielte für mich keine große Rolle. Unseren Streit sollte ich eigentlich auch so sehen können,
aber das ging nicht, die Gefühle waren zu stark, sie übermannten mich.
Es wurde Freitag, ich war die ganze Nacht aufgeblieben, hatte eine Rede für meine Mutter geschrieben und war müde, als wir durch die Schwindel erregende Landschaft mit Fjorden und Bergen und Flüssen und Höfen nach Loen in Nordfjord hinauffuhren, wo sie ein altes gutshofartiges Gebäude gemietet hatte, das dem Krankenschwesternverband gehörte und in dem die Feier stattfinden sollte. Die anderen fuhren zum Briksdalsgletscher hinauf, während Linda und ich mit Vanja auf unserem Zimmer blieben, um ein wenig zu schlafen. Die Schönheit der Landschaft ringsum war groß und beunruhigend. All dieses Blau, all dieses Grün, all dieses Weiß, all diese Tiefe und all dieser Raum. Das hatte ich nicht immer so empfunden; früher, erinnerte ich mich, war mir die Landschaft unscheinbar, fast trivial erschienen, etwas, das man durchfahren musste, um vom einen Ort zum anderen zu gelangen.
Draußen rauschte der Fluss. Auf einem Feld in der Nähe fuhr ein Traktor. Das Geräusch wurde lauter und leiser. Ab und zu hörte man von der Vorderseite des Gebäudes eine Stimme. Linda schlief neben mir mit Vanja an ihrer Brust. Für sie war unser Streit längst vorbei. Nur ich konnte
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