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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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größtenteils Gerichte, die man in diesem Land vor ein oder zwei Generationen gegessen hatte, aber auch italienische und französische und asiatische Menüs, denen ausnahmslos gemeinsam war, dass sie in irgendeiner Form deftig waren.
    Als Vanjas Taufe anstand, wollte Ingrid beim Essen mithelfen. Die Taufe sollte bei meiner Mutter in Jølster stattfinden, und da sowohl die Küche als auch die dortigen Geschäfte Ingrid fremd waren, schlug sie vor, das Essen daheim zuzubereiten
und anschließend mitzubringen. In meinen Ohren klang das völlig absurd, Essen für eine kleine Schar von Gästen über tausend Kilometer zu transportieren, aber sie bestand darauf, so sei es am einfachsten, also wurde es so gemacht. Zusätzlich zu ihrem normalen Gepäck hatten Ingrid und Vidar folglich drei Tiefkühltaschen dabei, als sie an einem Tag Ende Mai des Vorjahres auf dem Flughafen Bringelandsåsen außerhalb von Forde eintrafen. Es sollten zwei Feste gefeiert werden, am Freitag zunächst der sechzigste Geburtstag meiner Mutter und am Sonntag dann Vanjas Taufe. Linda und ich waren schon ein paar Tage vorher angekommen, allerdings nicht ohne Turbulenzen, denn Mutter hatte aus Anlass der Festlichkeiten das Wohnzimmer renovieren lassen und war noch nicht zum Aufräumen gekommen, so dass es dort aussah wie auf einer Baustelle, woraufhin Linda wütend und enttäuscht reagierte. Als sie den Stand der Dinge sah, begriff sie, dass ich mindestens drei Tage benötigen würde, um alles in Ordnung zu bringen. Ich verstand ihren Zorn, wenn auch nicht seine Vehemenz, konnte ihn aber nicht akzeptieren. Wir machten mit Vanja einen Spaziergang ins Tal hinauf, und sie schimpfte über meine Mutter, das waren nicht die Voraussetzungen, die man uns vorgespiegelt hatte; hätte sie das gewusst, wäre Vanja niemals hier getauft worden, sondern zu Hause in Stockholm.
    »Sissel ist so kleinlich, kennt keine Gastfreundschaft, ist kalt und verschlossen«, rief Linda in dem grünen und sonnenbeschienenen Tal. »Das ist die Wahrheit über sie. Du sagst, ich würde meine Mutter nicht so sehen, wie sie ist, dass ein Geschenk niemals nur ein Geschenk ist und sie mich völlig abhängig von ihr macht, und es mag ja durchaus sein, dass du damit Recht hast, das hast du bestimmt, aber du siehst deine Mutter verdammt nochmal auch nicht, wie sie ist.«
    Wie immer, wenn ich mich ihrem rasenden Zorn, den ich völlig übertrieben fand, ja fast wahnsinnig, mit Argumenten
und Sachlichkeit stellen musste, bekam ich vor Verzweiflung Bauchschmerzen.
    Mit dem Kinderwagen vor uns, in dem Vanja schlief, liefen wir fast den Talweg hinab.
    »Unsere Tochter soll hier getauft werden«, sagte ich. »Da ist es doch klar, dass wir das Haus in Schuss bringen müssen! Meine Mutter ist im Gegensatz zu deiner berufstätig, deshalb hat sie es nicht geschafft, rechtzeitig fertig zu werden. Sie kann nicht ihre ganze Zeit für uns vergeuden. Sie hat ihr eigenes Leben.«
    »Du bist blind«, sagte Linda. »Immer, wenn wir herkommen, musst du arbeiten, sie nutzt das aus, und wir zwei, wir haben nie mal ein bisschen Zeit für uns alleine, wenn wir hier sind.«
    »Aber wir sind doch eigentlich immer alleine!«, erwiderte ich. »Wir haben doch nichts anderes als Zeit für uns. Das ist doch verdammt nochmal das Einzige, was wir haben!«
    »Sie lässt uns nie mal ein bisschen Raum«, sagte Linda.
    »Wie bitte?«, sagte ich. »Raum? Wenn es einen Menschen gibt, der uns Raum lässt, dann sie. Deine Mutter lässt uns doch keinen Raum. Nicht einen verdammten Zentimeter. Weißt du noch, wie es war, als Vanja geboren wurde? Du meintest, dass du in den ersten Tagen niemanden dahaben wolltest, weil es dir wichtig war, dass wir zwei das alleine erleben?«
    Linda antwortete nicht, starrte nur feindselig vor sich hin.
    »Meine Mutter hatte natürlich Lust, uns zu besuchen, genau wie Yngve. Aber dann rief ich sie an und sagte ihnen, in den ersten beiden Wochen könnten sie leider nicht kommen, aber gerne später. Und was ist passiert? Wer kommt, von dir eingeladen, zur Tür herein, wenn nicht deine Mutter? Und was hast du gesagt? ›Das ist doch nur Mama!‹ Ja, verdammt, genau. Dieses ›nur‹ sagt alles. Du siehst sie nicht, du bist so
daran gewöhnt, dass sie kommt und dir hilft, dass du es gar nicht mehr merkst. Sie durfte kommen, meine Mutter durfte nicht kommen.«
    »Aber deine Mutter ist doch nie gekommen, um Vanja zu sehen. Es hat Monate gedauert.«
    »Tja, wundert dich das? Ich habe sie doch

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