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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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schnellen Schritten und mit einer offenen, grünlichen Windjacke bekleidet durch den Schnee und wollte in den Erdkeller. Selbst in einem solch unbedeutenden Augenblick war sie von einer Aura aus Intensität umgeben. Dann muss Linda aufgestanden sein, dachte ich. Es sei denn, Vanja hat sich zu ihr gelegt?
    An den Bäumen unterhalb des Pfads hingen noch ein paar Äpfel. Ihre Schalen waren gestrichelt und voller schwarzer Flecken, und die erhaltenen Farben, gedämpft, nachgedunkelt rot und grün, schienen in sie hineingewachsen, gleichzeitig wurden sie durch die entlaubte Umgebung voller schwarzer Äste verstärkt. Sah man sie mit der Wiese und dem Wald als Hintergrund, wo es keinerlei Farben gab, glühten sie. Sah man sie mit den rot gestrichenen Schuppen im Blick, wurden die Farben matter und waren kaum sichtbar.
    Ingrid kam mit zwei Eineinhalbliterflaschen Mineralwasser in den Händen und drei Dosen Bier unter dem Arm aus dem Erdkeller und setzte eine Flasche im Schnee ab, um den Haken vor die Tür zu legen, Verschluss und Etikett waren ganz gelb vor dem Weiß des Schnees, Ingrid hob sie wieder an und stapfte zum Haus zurück. Ich war bis zum Schuppen hinaufgekommen und verstreute den restlichen Sand auf dem Rückweg.
Als ich den Eimer absetzte, fiel mir plötzlich ein, an wen mich der Mann, den ich am Vortag im Café gesehen hatte, erinnerte. Tarjei Vesaas! Die beiden ähnelten sich wie ein Ei dem anderen. Die gleiche breite Kinnpartie, die gleichen sanften Augen, die gleiche Glatze. Aber die Haut war anders gewesen, auffallend rosa und babyhaft glatt. Als wäre Vesaas’ Kranium wiederauferstanden oder derselbe Code aus einer der zahlreichen Launen der Natur heraus ein zweites Mal benutzt, jedoch mit einer anderen Haut überzogen worden.
    »So«, sagte Vidar und legte den kleinen Schraubenzieher auf die Drechslerbank hinter sich. »Dann können wir ihn jetzt tragen. Ich kippe ihn, und du fasst am anderen Ende an. Okay?«
    »Ja«, sagte ich.
    Ich hob ihn an und sah, dass sein Gewicht, das sich im selben Moment auf Vidar verlagerte, schwer auf seinem Körper lastete. Ich hätte gerne einen größeren Teil des Gewichts übernommen, denn er war nicht schwer, aber das ging natürlich nicht. Wir trippelten mit kleinen Schritten die kurze Böschung hinunter, drehten uns um und gingen Seite an Seite die flache Steigung zu dem Schuppen hinauf, wo wir ihn erst mitten im Raum absetzten und danach an seinen Platz in der Ecke bugsierten.
    »Vielen Dank«, sagte Vidar. »Schön, dass das erledigt ist.«
    Da er niemanden hatte, der ihm helfen konnte, erwarteten mich bei unseren Besuchen häufig kleine Aufträge dieser Art.
    »Gern geschehen«, sagte ich.
    Er steckte den Gefrierschrank ein, der sofort anfing zu summen. Es standen zwei weitere Schränke in dem Raum, hinzu kamen zwei große Gefriertruhen. Sie waren alle mit Lebensmitteln gefüllt. Elch- und Rehfleisch, Kalb- und Lammfleisch. Hechte und Barsche und Lachs. Gemüse und Beeren. Alle Arten von fertig zubereiteten Gerichten. Es war eine Art, mit
Essen und Geld umzugehen, die uns vollkommen fremd war. Zusätzlich zu dem Bestreben, weitgehend Selbstversorger zu sein, kaufte Ingrid immer in großen Mengen ein, wenn etwas gerade im Sonderangebot war, drehte jede Krone zwei Mal um und legte großen Wert darauf. Ihr ging es darum, alle Ressourcen auszunutzen. So hatte sie eine Absprache mit dem örtlichen Supermarkt, gratis das Obst zu bekommen, das ansonsten weggeworfen würde, woraufhin sie es in Saft oder Marmelade oder Kuchen oder was immer ihr einfiel, verwandelte. So erzählte sie uns manchmal, wie viel das Fleisch in dem Gericht gekostet hatte, das wir gerade aßen, wodurch sie die Differenz zwischen dem Wert des Gerichts vor und nach ihren Zauberkünsten in der Küche unterstreichen wollte. Je billiger, desto besser. Geizig war sie jedoch nicht, sie überschüttete uns mit allen möglichen und unmöglichen Dingen, ganz gleich, wie ihre eigene finanzielle Situation aussehen mochte. Es ging um etwas anderes, möglicherweise den Stolz und die Ehre einer Hausfrau, denn sie hatte einmal eine Hauswirtschaftsschule besucht, und nach dem Ende ihrer Karriere als Schauspielerin wandte sie sich offenbar wieder dem Leben zu, das sie vorher gelebt hatte.
    Und folglich summte und brummte der Raum vor lauter Gefriertruhen und -schränken, war die Vorratskammer voller Gemüse, Obst, Marmeladen- und Einmachgläser, wurde uns bei jedem unserer Besuche hervorragendes Essen serviert,

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