Lieben: Roman (German Edition)
wochenlang reizbar und schroff bleiben, nur ich konnte noch Jahre später Groll hegen. Allerdings bei niemand anderem als ihr. Linda war die Einzige, mit der ich mich stritt, nur ihr trug ich etwas nach. Wenn meine Mutter, mein Bruder oder meine Freunde etwas Verletzendes sagten, ließ ich die Sache einfach auf sich beruhen, denn nichts von dem, was sie sagten, traf mich oder spielte eine Rolle für mich, nicht wirklich. Ich hatte gedacht, es wäre ein Teil meines Lebens als Erwachsener, dass es mir gelungen war, alle Ober- und Untertöne in meinem Charakter zu dämpfen, der ursprünglich explosiv gewesen war, so dass ich für den Rest meines Lebens in Ruhe und Eintracht leben
und alle Konflikte des Zusammenlebens mit Ironie und Hohn und dem beleidigten Schweigen lösen würde, worin ich nach drei langen Beziehungen solche Übung hatte. Doch bei Linda war es, als würde ich in die Zeit zurückgeschleudert, in der meine Gefühle von der größten Freude zur größten Wut und anschließend zu haltloser Verzweiflung umschwenkten, jene Zeit, in der ich eine Serie von alles entscheidenden Augenblicken durchlebte und die Intensität so hoch war, dass das Leben gelegentlich kaum lebbar erschien, und das Einzige, was mir Frieden schenken konnte, die Bücher mit ihren anderen Orten, Zeiten und Menschen waren, in denen ich keiner war und keiner ich war.
So war es in meiner Kindheit, als ich keine Wahl hatte.
Inzwischen war ich fünfunddreißig Jahre alt und wollte so wenig Störung und seelische Unruhe haben wie irgend möglich, sollte mir das nicht gelingen können?
Es sah nicht danach aus.
Ich setzte mich auf einen Stein, rauchte eine Zigarette und überflog meine Rede. Bis zuletzt hatte ich gehofft, sie würde mir erspart bleiben, aber es führte kein Weg daran vorbei, denn Yngve und ich hatten entschieden, dass jeder von uns eine Rede auf sie würde halten müssen. Es graute mir unendlich davor. Wenn ich lesen oder an einer Diskussion teilnehmen oder auf der Bühne interviewt werden sollte, war ich manchmal so nervös, dass ich kaum gehen konnte. Aber nervös war eigentlich nicht das treffende Wort, Nervosität war etwas Vorübergehendes in den Nerven, eine leichte Irritation, ein Erzittern des Geistes. Es tat weh und war hart. Würde jedoch wieder vorübergehen.
Ich stand auf und schlenderte zur Straße, von wo aus man die ganze Gegend überblicken konnte. Die fruchtbaren feuchtgrünen Felder zwischen den Berghängen, der Kranz aus Laubbäumen, die am Fluss wuchsen, das kleine Ortszentrum unten
in der Ebene mit seiner Handvoll Geschäften und Wohnhäusern. Der angrenzende Fjord, blaugrün und vollkommen still, die Berge, die auf der anderen Seite aufragten, die wenigen Berghöfe, die dort lagen, hoch an den Hängen, mit ihren weißen Häuserwänden und rötlichen Dächern, ihrer gelben und grünen Erde, alles satt leuchtend im Licht der Sonne, die immer tiefer stand und schon bald weit draußen im Meer verschwinden würde. Die kahlen Felshänge über den Höfen, dunkelblau, an manchen Stellen fast schwarz, die weißen Gipfel, der klare Himmel über ihnen, an dem bald die ersten Sterne auftauchen würden, zunächst nur als vage Aufhellung, danach jedoch immer deutlicher, bis sie dort standen und funkelten und in der Dunkelheit über der Welt leuchteten.
Dieser Dinge konnten wir uns nicht bemächtigen. Wir mochten glauben, dass unsere Welt alles umfasste, wir mochten hier unten am Ufer unseren Kram machen, mit unseren Autos herumfahren, miteinander telefonieren, einander besuchen, essen und trinken und im Haus sitzen und uns von den Gesichtern und Ansichten und Schicksalen der Menschen erfüllen lassen, die sich auf dem Fernsehbildschirm zeigten, in dieser eigenartigen, halb artifiziellen Symbiose, in der wir lebten und immer länger, Jahr für Jahr, von der Vorstellung einlullen ließen, dass dies alles war, was es gab, aber wenn wir den Blick hoben und darüber hinaus blickten, handelte der einzig mögliche Gedanke vom Nicht-Bemächtigen und von Ohnmacht, denn wie klein und nichtig war eigentlich, wovon wir uns hatten einlullen lassen? Sicher, die Dramen, die wir sahen, waren grandios, die Bilder, die wir aufnahmen, sublim und gelegentlich auch apokalyptisch, aber mal ehrlich, Sklaven, welchen Anteil hatten wir eigentlich daran?
Keinen Anteil.
Aber die Sterne funkeln über unseren Köpfen, die Sonne brennt, das Gras wächst, und die Erde, ja, die Erde verschluckt
alles Leben, löscht alle Spuren aus und spuckt in
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