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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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»Es ist wirklich ein bisschen anstrengend. Aber ich finde zwei trotzdem besser als eins. Diese Einzelkindsache kommt mir ein bisschen trist vor, wenn du mich fragst … Ich habe mir immer vorgestellt, drei Kinder zu haben. Dann haben sie viele Konstellationen, zwischen denen sie wählen können. Außerdem sind die Kinder dann den Eltern gegenüber in der Mehrheit…«
    Ich lächelte. Sie sagte nichts. Plötzlich wurde mir klar, dass sie nur ein Kind hatte.
    »Aber nur ein Kind zu haben, kann natürlich auch toll sein«, sagte ich.
    Sie stützte den Kopf in die Hand.
    »Eigentlich fände ich es schon schön, wenn Gustav ein Brüderchen
oder Schwesterchen bekäme«, sagte sie. »Es geht einfach zu viel um uns zwei.«
    »Aber nein«, sagte ich. »Er hat doch eine Menge Freunde im Kindergarten. Das reicht doch.«
    »Das Problem ist nur, dass ich keinen Mann habe«, sagte sie. »Und dann geht das natürlich nicht.«
    Was zum Teufel ging das mich an?
    Ich sah sie mitfühlend an und konzentrierte mich darauf, nicht mit den Augen zu flackern, was ich in solchen Situationen gerne tat.
    »Und die Männer, die ich kennen lerne, kann ich mir als Vater für mein Kind nicht vorstellen«, fuhr sie fort.
    »Tja«, sagte ich, »das wird schon noch werden.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Trotzdem danke.«
    Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung wahr. Ich drehte mich um und sah zur Türöffnung. Vanja kam zu mir. Sie stellte sich neben mich.
    »Ich will nach Hause«, sagte sie. »Können wir nicht gehen?«
    »Wir bleiben noch ein bisschen«, sagte ich. »Jetzt gibt es auch bald Kuchen. Davon möchtest du doch sicher ein Stück haben, nicht?«
    Sie blieb stumm.
    »Möchtest du auf meinem Schoß sitzen?«, sagte ich.
    Sie nickte, und ich schob das Weinglas von mir und hob sie hoch.
    »Jetzt bleibst du ein bisschen bei mir sitzen und dann gehen wir wieder rein. Ich komme auch mit. Okay?«
    »Okay.«
    Sie saß da und musterte die anderen Leute am Tisch. Was mochte sie über diese Menschen denken? Wie wirkte dieses Bild auf sie?
    Ich sah sie an. Die langen blonden Haare reichten ihr schon
bis über die Schultern hinab. Eine kleine Nase, ein kleiner Mund, zwei kleine Ohren, beide mit einer kleinen, elfenhaften Spitze am oberen Ende. Die blauen Augen, die immer ihre Stimmung verrieten und leicht schielten, deshalb die Brille. Anfangs war sie stolz auf sie gewesen. Mittlerweile war sie das Erste, was sie von sich warf, wenn sie wütend wurde. Vielleicht weil sie wusste, wie wichtig es uns war, dass sie die Brille trug?
    In unserer Gesellschaft waren ihre Augen lebhaft und fröhlich, es sei denn, sie wurden verschlossen und unnahbar, wenn sie einen ihrer grandiosen Wutanfälle bekam. Sie hatte eine unglaublich dramatische Ader und konnte die ganze Familie mit ihrem Temperament steuern, beim Spielen führte sie große und komplizierte Beziehungsdramen auf und liebte es, wenn man ihr vorlas, aber vielleicht sogar noch mehr, Filme zu sehen, am liebsten Spielfilme mit Charakteren und Dramatik, über die sie nachdachte und über die sie sich gerne mit uns unterhielt, voller Fragen und mit viel Freude am Nacherzählen. Eine Zeitlang drehte sich alles um Madita, dann sprang sie vom Stuhl, lag mit geschlossenen Augen auf dem Fußboden, und wir mussten sie aufheben und zunächst glauben, dass sie tot war, dann begreifen, dass sie nur ohnmächtig war und eine Gehirnerschütterung hatte, um sie, die mit geschlossenen Augen und hängenden Armen dalag, daraufhin zu ihrem Bett zu tragen, in dem sie drei Tage liegen musste, ganz besonders gefiel ihr, wenn wir auf dem Weg dorthin das traurige musikalische Thema der Szene summten. Danach sprang sie wieder auf, lief zum Stuhl und brachte das Schauspiel erneut in Gang. Bei der Weihnachtsfeier des Kindergartens war sie die Einzige, die sich beim Applaus verneigte und die Aufmerksamkeit offensichtlich genoss, die den Kindern geschenkt wurde. Häufig war ihr die Vorstellung von etwas wichtiger als die Sache selbst, zum Beispiel bei Süßigkeiten; manchmal
sprach sie den ganzen Tag davon und freute sich darauf, aber wenn das Naschzeug dann endlich in der Schüssel vor ihr lag, kostete sie es nur kurz und spuckte es wieder aus. Daraus lernte sie jedoch nichts; am nächsten Samstag waren ihre Erwartungen an die fantastischen Süßigkeiten wieder da. Sie wollte so gerne Schlittschuh laufen, aber als sie schließlich mit den kleinen Schlittschuhen an den Füßen, die sie von ihrer Großmutter bekommen

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