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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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auseinanderreißen, und meine Augen suchten nach etwas, was ich ihr geben konnte, um den Impuls abzuleiten. Ein Puzzle? Ein Stofftier? Ein kleines Plastikpony mit großen Wimpern und einer langen, rosafarbenen, synthetischen Mähne? Sie warf alles von sich.
    »Papa, kannst du mir helfen!«, sagte Vanja.
    »Na klar«, sagte ich. »Schau mal. Hier legen wir eine Brücke, dann kann der Zug über sie und unter ihr hindurch fahren. Das ist doch toll, nicht?«
    Heidi griff nach dem einen Brückenklotz.
    »Heidi!«, sagte Vanja.
    Ich nahm ihn ihr ab, und sie fing an zu schreien. Ich hob sie hoch und stand auf.
    »Ich krieg das nicht hin!«, sagte Vanja.
    »Ich bin gleich wieder da. Ich bringe Heidi nur zur Mama«,
sagte ich und ging mit Heidi auf der Hüfte im Stil einer erfahrenen Hausfrau in die Küche. Linda unterhielt sich mit Gustav, dem einzigen der Luchs-Eltern, der einen guten, altehrwürdigen Beruf hatte und mit dem sie sich aus irgendeinem Grund gut verstand. Er war jovial, sein Gesicht glänzte, sein kurzer, stets gut gekleideter Körper war klein und kompakt, der Hals füllig, das Kinn breit, das Gesicht rundlich, aber offen und heiter. Er unterhielt sich gerne über Bücher, die er mochte, derzeit über die von Richard Ford.
    »Sie sind wirklich fantastisch«, sagte er beispielsweise. »Hast du sie gelesen? Es geht in ihnen um einen Immobilienmakler, einen ganz normalen Mann, tja, und um sein wiedererkennbares und alltägliches Leben, aber gleichzeitig fängt es auch ganz Amerika ein! Die amerikanische Atmosphäre, den Puls des Landes!«
    Ich mochte ihn auch, nicht zuletzt das Geordnete an ihm, das von nichts Komplizierterem als einem einfachen, ehrlichen Job herrührte, wie ihn jedoch keiner meiner Bekannten hatte, am wenigsten ich. Wir waren im selben Alter, aber wenn ich ihn sah, dachte ich an einen Menschen, der zehn Jahre älter war als ich.
    »Ich glaube, Heidi muss bald ins Bett«, sagte ich. »Sie scheint müde zu sein. Und Hunger hat sie bestimmt auch. Gehst du mit ihr nach Hause?«
    »Ja. Ich esse nur noch auf. Ist das okay?«
    »Ja, klar.«
    »Ich habe dein Buch in der Hand gehalten!«, meinte David. »Ich war in der Buchhandlung, und da stand es. Es sah interessant aus. Wo ist es noch mal erschienen, bei Norstedts?«
    »Ja«, sagte ich und lächelte bemüht, »stimmt.«
    »Und du hast es nicht gekauft?«, sagte Linda, nicht ohne einen neckischen Ton in der Stimme.
    »Nein, so weit ist es diesmal noch nicht gekommen«, sagte
er und wischte sich die Lippen mit der Serviette ab. »Es geht um Engel?«
    Ich nickte. Heidi war in meinem Griff ein wenig herabgerutscht, und als ich sie wieder höher hievte, spürte ich, wie schwer ihre Windel war.
    »Ich mache ihr noch eine neue Windel, bevor ihr geht«, sagte ich. »Hast du die Tasche aus dem Wagen mit hochgenommen?«
    »Ja, sie steht im Flur.«
    »Okay«, sagte ich und verließ den Raum, um eine Windel zu holen. Im Wohnzimmer liefen Vanja und Achilles umher, sprangen von der Couch auf den Boden, lachten, richteten sich wieder auf und sprangen erneut. Ich spürte einen warmen Stich in der Brust. Bückte mich und zog eine Windel und einen Stapel feuchte Tücher heraus, während Heidi sich an mich klammerte wie ein kleiner Koala. Im Badezimmer gab es keinen Wickeltisch, so dass ich sie auf die Fliesen legte, ihre Strumpfhose auszog, die beiden Klebeverschlüsse der Windel aufriss und sie in den Mülleimer unter dem Waschbecken warf, während Heidi ernst zu mir aufblickte.
    »Nur Pipi!«, sagte sie. Dann drehte sie den Kopf zur Seite und starrte an die Wand, unbeeindruckt von meinen Bewegungen, als ich ihr eine neue Windel anzog, so wie sie es schon als Säugling immer getan hatte.
    »So«, sagte ich. »Jetzt bist du fertig.«
    Ich nahm ihre Hände und zog sie hoch. Die Strumpfhose, die ein wenig feucht gewesen war, faltete ich in der Hand zusammen, trug sie in die Wagentasche und zog ihr anschließend eine Jogginghose an, die darin gelegen hatte, und dazu die braune gefütterte Cordjacke, die Yngve ihr zu ihrem ersten Geburtstag geschenkt hatte. Linda kam, während ich mit den Schuhen beschäftigt war.
    »Ich komme auch bald nach«, sagte ich. Wir küssten uns,
und Linda nahm die Tasche in die eine Hand, Heidi an die andere, und sie gingen.
    Vanja lief mit Achilles im Schlepptau mit Volldampf durch den Flur und in ein Zimmer, das vermutlich das Schlafzimmer war und aus dem unmittelbar darauf ihre exaltierte Stimme ertönte. Der Gedanke, wieder hineinzugehen

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