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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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furchtloser zu machen, ihr beibringen, Spiele anzuführen, die Initiative zu ergreifen, mehr zu reden. Linda erklärte, zu Hause sei sie furchtlos, führe alle Spiele an, ergreife die Initiative und rede wie ein Wasserfall. Sie meinten, das Wenige, was sie im Kindergarten sage, sei undeutlich, sie spreche nicht verständlich, ihr Wortschatz sei offenbar nicht sonderlich groß, weshalb sie sich fragten, ob wir schon einmal über einen Logopäden nachgedacht hätten? An dem Punkt des Gesprächs wurde uns die Broschüre eines ortsansässigen Logopäden überreicht. Die spinnen, die Schweden, dachte ich. Ein Logopäde? Soll hier wirklich alles institutionalisiert werden? Sie ist doch erst drei!
    »Nein, ein Logopäde kommt für uns nicht in Frage«,
erklärte ich. Bis dahin hatte Linda das Reden übernommen. »Das regelt sich sicher von alleine. Ich war drei, als ich anfing zu sprechen. Vorher habe ich bloß einzelne Worte gesagt, die für alle außer meinem Bruder unverständlich waren.«
    Sie lächelten.
    »Als ich dann anfing zu sprechen, redete ich fließend, in langen Sätzen. Das ist individuell völlig verschieden. Wir können sie zu keinem Logopäden schicken.«
    »Nun, das ist selbstverständlich eure Sache«, erwiderte Olaf, der Leiter des Kindergartens. »Aber vielleicht behaltet ihr die Broschüren einfach und denkt noch einmal in Ruhe darüber nach.«
    »Schön«, hatte ich gesagt.
    Jetzt sammelte ich ihre Haare in einer Hand und strich ihr mit einem Finger über den Nacken und den obersten Teil des Rückens. Normalerweise liebte sie das, vor allem vor dem Schlafengehen, und kam dabei ganz zur Ruhe, aber diesmal drehte sie sich weg.
    Auf der anderen Seite des Tisches hatte die strenge Frau ein Gespräch mit Mia begonnen, die der Frau ihre volle Aufmerksamkeit schenkte, während Frida und Erik Teller und Besteck einsammelten. Die weiße Sahnetorte, die den nächsten Programmpunkt bildete, stand himbeerverziert und hübsch, mit fünf kleinen Kerzen, neben einem Stapel viereckiger Pappkartons mit dem zuckerfreien Apfelsaftgetränk BRAVO auf der Arbeitsfläche.
    Gustav, der bis dahin halb abgewandt neben mir gesessen hatte, drehte sich zu uns um.
    »Hallo, Vanja«, sagte er. »Hast du Spaß?«
    Als er keine Antwort und auch keinen Augenkontakt bekam, sah er mich an.
    »Du musst mal einen Tag mit Joakim zu uns kommen«, sagte er und zwinkerte mir zu. »Hättest du Lust dazu?«
    »Ja«, sagte Vanja und sah ihn mit Augen an, die sich abrupt weiteten. Jocke war der größte Junge im Kindergarten, ihn zu Hause besuchen zu dürfen, war sicher mehr, als sie jemals zu hoffen gewagt hätte.
    »Dann verabreden wir das bei Gelegenheit«, sagte Gustav, hob sein Glas, trank einen Schluck Rotwein und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
    »Und, schreibst du an etwas Neuem?«, sagte er.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Ja, ich bin wohl dabei«, antwortete ich.
    »Du arbeitest zu Hause?«
    »Ja.«
    »Wie funktioniert das? Sitzt du da und wartest auf Inspiration?«
    »Nein, so läuft das nicht. Ich muss genauso jeden Tag arbeiten wie du.«
    »Interessant. Interessant. Gibt es zu Hause nicht vieles, was einen ablenkt?«
    »Das geht schon.«
    »Tatsächlich. So, so…«
    »Kommt ihr jetzt bitte alle ins Wohnzimmer?«, sagte Frida. »Wir wollen für Stella singen.«
    Sie zog ein Feuerzeug aus der Tasche und zündete die fünf Kerzen an.
    »Was für ein schöner Kuchen«, sagte Mia.
    »Ja, nicht wahr?«, sagte Frida. »Und gesund ist er auch noch. Es ist praktisch kein Zucker in der Creme.«
    Sie hob ihn hoch.
    »Gehst du vor und machst das Licht aus, Erik?«, sagte sie, während sich alle von ihren Plätzen erhoben und die Küche verließen. Ich folgte ihnen mit Vanja an der Hand und schaffte es gerade noch rechtzeitig, mich ganz hinten an die Wand zu stellen, bevor Frida mit dem leuchtenden Kuchen in den Händen
durch den verdunkelten Flur kam. Als sie vom Tisch aus zu sehen war, stimmte sie »Hoch soll sie leben« an, und die anderen Erwachsenen fielen augenblicklich ein, so dass der Gesang durch das kleine Zimmer schallte, als sie den Kuchen vor Stella auf den Tisch stellte, die mit leuchtenden Augen zusah.
    »Soll ich jetzt pusten?«, sagte sie.
    Frida nickte und sang weiter.
    Alle klatschten, als es getan war, auch ich. Dann wurde das Licht wieder eingeschaltet, und es vergingen einige Minuten damit, Kuchenstücke an die Kinder zu verteilen. Vanja wollte nicht am Tisch sitzen, sondern auf dem Fußboden an der Wand,

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