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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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und mit einem bemühten, aber höflichen Lächeln um den Mund Gemüse zu essen, war Teil derselben Verpflichtung.
    An der Arbeitsfläche hob Erik einen Stapel Teller aus dem Schrank, während Frida Messer und Gabeln abzählte. Ich trank noch einen Schluck Wein und merkte, wie hungrig ich war. Im Türrahmen blieb rot und mit leicht verschwitztem Gesicht Stella stehen.
    »Gibt es jetzt die Torte?«, rief sie.
    Frida drehte sich um.
    »Bald, mein Herz. Aber vorher wollen wir noch etwas Richtiges essen.«
    Ihre Aufmerksamkeit verschob sich von dem Kind auf die Erwachsenen am Tisch.
    »Jetzt gibt es was zu essen«, sagte sie. »Ihr nehmt euch am besten selbst. Hier sind Teller und Besteck. Für eure Kinder könnt ihr euch auch etwas nehmen.«
    »Ah, jetzt habe ich aber auch Hunger«, sagte Linus und stand auf. »Was gibt es denn alles?«
    Ich hatte vorgehabt, sitzen zu bleiben, bis die meisten sich genommen hatten, aber als ich sah, womit Linus zurückkam, Bohnen, Salat, der unvermeidliche Couscous und ein warmes Hauptgericht, das nach einem Kichererbsenauflauf aussah, stand ich auf und ging ins Wohnzimmer.
    »In der Küche gibt es was zu essen«, sagte ich zu Linda, die sich mit Mia unterhielt, Vanja an ihren Beinen und Heidi auf dem Arm. »Wollen wir tauschen?«
    »Ja, von mir aus gern«, sagte Linda. »Ich habe einen Mordshunger.«
    »Können wir jetzt nach Hause gehen?«, sagte Vanja.
    »Aber jetzt gibt es was zu essen«, sagte ich. »Und hinterher bekommt ihr Kuchen. Soll ich dir etwas zu essen holen?«
    »Ich will nichts«, sagte sie.
    »Ich hole dir trotzdem mal ein bisschen«, sagte ich und nahm Heidi auf den Arm. »Und dich nehme ich mit.«
    »Heidi hat übrigens eine Banane gegessen«, sagte Linda. »Aber sie will bestimmt auch noch was essen.«
    »Komm, Theresa, wir gehen dir etwas zu essen holen«, sagte Mia zu ihrer Tochter.
    Ich folgte ihnen in die Küche, hob Heidi hoch und stellte mich in die Schlange. Sie legte den Kopf an meine Schulter, was sie nur tat, wenn sie müde war. Das Hemd klebte an meiner Brust. Jedes Gesicht, das ich sah, jeder Blick, dem ich begegnete, jede Stimme, die ich hörte, hängte sich wie Blei an mich. Wenn ich etwas gefragt wurde oder selber eine Frage stellte, kam es mir vor, als müsste sie freigesprengt werden. Heidi machte die Sache leichter, sie bei mir zu haben, war eine Art Schutzwall, weil ich etwas hatte, womit ich mich beschäftigen konnte, und weil ihre Gegenwart die Aufmerksamkeit der anderen ablenkte. Sie lächelten Heidi an, fragten, ob sie müde sei, strichen ihr über die Wange. Ein Großteil von Heidis Beziehung zu mir gründete darauf, dass ich sie trug. Das war das Fundament unseres Verhältnisses. Sie wollte immer getragen werden, wollte niemals gehen, streckte die Arme in die Höhe, sobald ich ihr ins Auge fiel, und lächelte jedes Mal zufrieden, wenn sie auf dem Arm sein durfte. Und mir gefiel es, sie bei mir zu haben, dieses kleine, knubbelige Geschöpf mit den großen Augen und dem gierigen Mund.
    Ich füllte den Teller mit ein paar Bohnen, zwei Löffeln Kichererbsenauflauf und etwas Couscous und trug ihn ins Wohnzimmer, wo alle Kinder inzwischen mit einigen assistierenden Eltern hinter sich um den runden Tisch in der Mitte versammelt saßen.
    »Ich will nichts haben«, sagte Vanja sofort, als ich den Teller vor ihr abstellte.
    »Das ist schon in Ordnung«, sagte ich. »Du brauchst nichts essen, wenn du nicht willst. Aber was meinst du, will Heidi vielleicht was haben?«
    Ich spießte ein paar Bohnen auf die Gabel und hob sie an ihren Mund. Sie kniff die Lippen zusammen und drehte den Kopf weg.
    »Nun kommt schon«, sagte ich. »Ich weiß doch, dass ihr Hunger habt.«
    »Können wir mit der Eisenbahn spielen?«, sagte Vanja.
    Ich sah sie an. Normalerweise hätte sie entweder den Zug angestarrt oder zu mir hochgeblickt, meist flehend, jetzt schaute sie dagegen starr geradeaus.
    »Klar«, sagte ich, hob Heidi herunter und ging zur Zimmerecke, wo ich die Knie an den Körper pressen musste, so dass sie fast bis zur Brust reichten, um zwischen den kleinen Kindermöbeln und Spielkisten Platz zu finden. Ich pflückte die Gleise auseinander und reichte Schiene für Schiene Vanja, die sie zusammenzufügen versuchte. Als ihr das nicht gelingen wollte, drückte sie die Teile mit aller Kraft gegeneinander. Ich wartete bis kurz vor dem Moment, in dem sie die Schienen wutentbrannt von sich werfen würde, und griff dann erst ein. Heidi wollte sie immer wieder

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