Lieben: Roman (German Edition)
Restaurants der Stadt ein, die Schuhe auszuziehen oder sich in anderer Weise in die Atmosphäre der Umgebung einzufühlen, kam für sie überhaupt nicht in Frage, es wurde mit den Armen gerudert, Zigaretten wurden in Sake-Tassen ausgedrückt, lauthals nach dem Kellner gerufen. Linda in einem kurzen Rock, mit rotem Lippenstift und einer schwarzen Pagenfrisur, mit einer Zigarette in der Hand und ein klein wenig verliebt in Peter Stormare, der auch mit von der Partie war. Sie war damals erst fünfzehn gewesen und musste in den Augen der Japaner grotesk
gewirkt haben, meinte sie. Aber sie hoben selbstverständlich nicht einmal die Augenbrauen, huschten nur leise um sie herum, selbst als einer von ihnen durch eine Papierwand brach und auf den Boden plumpste.
Sie lachte, als sie es erzählte.
»Als wir gehen wollten«, sagte sie und blickte nach Djurgårdsbrunn hinaus, »kam einer der Kellner mit einer Plastiktüte zu mir. Es sei ein Geschenk des Kochs«, sagte er. »Ich schaute hinein. Weißt du, was in ihr war?«
»Nein?«, sagte ich.
»Sie war voller lebender kleiner Krabben.«
»Krabben? Was hatte das zu bedeuten?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht.«
»Was hast du mit ihnen gemacht?«
»Ich habe sie mit ins Hotel genommen. Mutter war so betrunken, dass man ihr ins Hotel helfen musste. Ich nahm alleine ein Taxi, die Tüte mit den Krabben lag zu meinen Füßen. Als ich in mein Zimmer kam, ließ ich kaltes Wasser in die Badewanne laufen und legte sie hinein. Sie krabbelten die ganze Nacht herum, während ich im Nebenzimmer schlief. Mitten in Tokio.«
»Was ist dann passiert? Was hast du mit ihnen gemacht?«
»Das ist das Ende der Geschichte«, erklärte sie und drückte meine Hand, wobei sie lächelnd zu mir aufschaute.
Es gab da irgendeine Verbindung zwischen Japan und ihr. Für ihre Gedichtsammlung hatte sie ausgerechnet einen japanischen Literaturpreis bekommen, ein Bild mit einem japanischen Schriftzeichen, das bis vor kurzem über ihrem Schreibtisch gehangen hatte. Und hatten ihre schönen, feinen Gesichtszüge nicht etwas vage Japanisches?
Wir gingen zum Karlaplan hinauf, wo das kreisförmige Bassin, in dessen Mitte während des Sommerhalbjahrs eine
riesige Fontäne sprudelte, leer und der Boden vom welken Laub der großen Bäume bedeckt war, die es umsäumten.
»Weißt du noch, als wir Gespenster gesehen haben?«, sagte ich.
»Na klar!«, sagte sie. »Das werde ich nie vergessen.«
Das wusste ich, denn sie hatte die Eintrittskarte für die Vorstellung in das Fotoalbum geklebt, an dem sie bastelte, seit sie schwanger geworden war. Gespenster war Bergmans letzte Theaterinszenierung gewesen, und wir waren hingegangen, noch bevor wir ein Paar wurden, der Theaterbesuch gehörte zu den ersten Dingen, die wir zusammen unternahmen, die wir gemeinsam hatten. Das war erst anderthalb Jahre her, aber es fühlte sich an wie ein ganzes Leben.
Sie sah mich mit dieser Wärme im Blick an, die mich manchmal vollkommen ausfüllte. Es war kalt, und es wehte ein rauer, beißender Wind, der mich daran denken ließ, wie weit östlich Stockholm lag, ein Zug von etwas Fremdem, etwas, das anders war als dort, wo ich herkam, ohne dass ich hätte sagen können, was es genau war. Wir befanden uns im reichsten Viertel der Stadt, und die Gegend war wie ausgestorben. Hier ging niemand aus, die Straßen waren nie voller Menschen, aber dennoch breiter als irgendwo sonst in der Innenstadt.
Eine Frau und ein Mann kamen uns mit einem Hund entgegen, er mit beiden Händen auf dem Rücken und einer großen Ledermütze auf dem Kopf, sie in einem Pelzmantel, der kleine Terrier schnüffelnd vor ihnen.
»Sollen wir noch irgendwo etwas trinken gehen?«, sagte ich.
»Das machen wir«, sagte sie. »Ich muss auch bald eine Kleinigkeit essen. Vielleicht in der Bar im Zita?«
»Gute Idee.«
Mich fröstelte, und ich zog den Mantelkragen enger um den Hals.
»Verdammt, ist das ungemütlich heute Abend«, sagte ich. »Ist dir kalt?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte die riesige gefütterte Steppjacke an, die sie sich von ihrer Freundin Helena geliehen hatte, die im letzten Winter genauso schwanger gewesen war wie Linda jetzt, und die Pelzmütze, die ich ihr gekauft hatte, als wir in Paris waren, mit zwei Schnüren, an deren Enden Pelzbällchen baumelten.
»Tritt es dich?«
Linda legte beide Hände auf den Bauch.
»Nein, das Kind schläft«, sagte sie. »Das tut es fast immer, wenn ich gehe.«
»›Das Kind‹«, sagte
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